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Comic-Besprechung - Ich René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIB: Der lange Marsch durch Deutschland

Geschichten:
Autor und Zeichner: Jacques Tardi

Sie marschieren, stundenlang, tagelang, wochenlang. Tardi berichtet im zweiten Band von "Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIB" vom Aufbruch der Kriegsgefangenen aus dem pommerischen Lager bis zur Ankunft ins heimatliche Frankreich. Dabei schildert er im überwiegenden Teil der Veröffentlichung die lange Reise der Kriegsgefangenen unter deutscher Bewachung. Anhand der genauen Tagebuchaufzeichnungen seines Vaters, wo zahlreiche Orte und zurückgelegte Kilometer notiert sind, kann Tardi den Gewaltmarsch genau nachvollziehen. Er lässt hier ausführlich seinen Vater zu Wort kommen. Dieser beschreibt die Umgebung und schildert den Umgang der Deutschen mit den Kriegsgefangenen.

Der Autor lässt den Leser damit intensiv am Schicksal der Männer teilhaben, die kurz vor der Kapitulation des deutschen Reiches noch durch die Provinz gescheucht werden. Gerade weil viele Aktionen hier nur noch aufgrund einer nicht mehr vorhandenen Befehlskette weiter durchgeführt werden, ist die Stumpfsinnigkeit der Reise selbst für den Leser fühlbar. Die Soldaten übernachten in Scheunen, laufen von Dörfern zu Dörfern, bloß um Tage später genau die gleichen Stellen zu passieren. Das trostlose Dasein wird von Tardis Vater mit zahlreichen Anekdoten aus dem tristen Alltag angereichert. Er schildert, wie die deutschen Soldaten langsam Panik bekommen, wie die Marschkolonne mit den einheimischen Bauern umgeht und wie langsam aber sicher die Truppe auch in die immer intensiver werdenden Kampfhandlungen einbezogen wird.

Aufgelockert wird dieser lange Marsch durch Tardi selbst. Dieser zeichnet sich als junger Mann, der seinen Vater fiktiv auf der Reise begleitet. Er ist ihm ein willkommener Partner und versucht in diesen Gesprächen auch einige verwirrende Anmerkungen aus dem Notizbuch des Vaters zu klären. Zudem, und das ist der wichtigste Punkt in dem Buch, schildert Tardi parallel zu den Taten rund um seinen Vater die aktuellen Ereignisse zwischen Januar und Mai 1945. Während Tardi Senior irgendwo in der niedersächsischen Provinz von links nach rechts trottet, geht beispielsweise gerade Dresden in Flammen auf. Tardi Junior schafft es mit zahlreichen Fakten die letzten Kampfhandlungen im Kontext zu den Erlebnissen seines Vaters zu stellen. In langen Texten wird stellenweise sehr emotional die Zerstörung von Infrastruktur und Lebensgrundlagen geschildert. Während dem Kriegsgefangenen hier schnell ein „Recht so!“ rausrutscht, stellt der Autor die Ereignisse auch in Frage. Es findet folglich keine nüchternde Auflistung der letzten Kriegstage statt, sondern Tardi nimmt für sich heraus, den Umfang der Zerstörung und die Niederschlagung des Dritten Reiches auch kritisch zu durchleuchten.

Wie wild die Zeit nach dem Zusammenbruch damals war, wird dann im zweiten Teil des Bandes deutlich, wo die Kriegsgefangenen frei kommen und sich nach Frankreich durchschlagen. Dabei müssen selbst sie aufpassen, nicht plötzlich als Feinde deklassiert zu werden. Hier lässt der Autor seinen Vater viel Freiraum zur Schilderung der mehr als abenteuerlichen Erlebnisse.

Grafisch setzt der Künstler die Handlung in gleichmäßigen Panels mit verschiedenen Grautönen um. Nur hin und wieder erfolgt eine Farbgebung bei wichtigen Situationen oder markanten Gegenständen. Ansonsten herrscht grauer Alltag auf dem Marsch der Kriegsgefangenen. Visuell passiert folglich nicht viel, wobei hier vielmehr der Text in den Vordergrund rückt. Tardi arbeitet mit relativ großen Sprechblasen, die hin und wieder das halbe Panel bedecken. Daraus resultiert folglich eher eine Darstellung einzelner Ereignisse, als die Wiedergabe komplexer Situationen. Das Layout passt somit zum Inhalt, wo ebenfalls verschiedene Stationen der Reise und die jeweilige Umgebung angesprochen werden. Es ist optisch ein ruhiges Buch, ohne hektischen Seitenaufriss, großen Soundwörtern oder kleinformatigen Zeichnungen. Der Aufbau wirkt sehr geordnet, wie es wohl sein muss, wenn ein Künstler ein Notizbuch in Comicform umsetzt.

Der zweite Teil der Kriegsgefangenschaft von René Tardi ist folglich ein sehr informatives Werk, das die Ereignisse der letzten Kriegsmonate und -tage gut aus der Sicht eines einfachen französischen Soldaten schildert. Gerade der Gegensatz zwischen persönlichen Erlebnissen und den großräumigen Kampfhandlungen und Zerstörungen macht den Reiz dieses Comics aus. Dass einschneidende politische Ereignisse nur über Text wiedergegeben werden und dafür nebensächliche Situationen in den Vordergrund rücken, verstärkt die emotionale Ausrichtung um ein Vielfaches. Toll!

Ich René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIB: Der lange Marsch durch Deutschland - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Ich René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIB: Der lange Marsch durch Deutschland

Autor der Besprechung:
Christian Recklies

Verlag:
Edition Moderne

Preis:
€ 32,00

ISBN 13:
978-3-03731-136-3

128 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • Erlebnisse des Vaters im Kontext zu den historischen Ereignissen Anfang 1945
  • keine nüchterne Auflistung der Ereignisse, stattdessen auch Kritik und Gegenüberstellungen
  • passive Grautöne setzen die Trostlosigkeit des Marsches gut in Szene
Negativ aufgefallen
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
Bewertung:
1
(2 Stimmen)
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Rezension vom: 25.05.2015
Kategorie: One Shots
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