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Comic-Besprechung - The Nobody
Geschichten:The Nobody
Autor / Zeichner: Jeff Lemire
Story:
In das kleine Städtchen Large Mouth kehrt ein Fremder ein. Dieser Mann, Harley Griffen, ist von Kopf bis Fuß bandagiert, was sofort zu einigen Spekulationen führt. Zudem zieht er sich hauptsächlich in sein Hotelzimmer zurück, was die Gerüchte zusätzlich anfeuert. Nur die junge Vickie nimmt Kontakt zu ihm auf und freundet sich langsam mit ihm an. Doch kann sie die Spirale der Gerüchte und der Verdächtigungen aufhalten, bevor sie in Gewalt umschlägt?

Mittlerweile hat sich der Autor und Zeichner Jeff Lemire fest etabliert. Nach seinen ersten großen Erfolgen im Independentbereich mit der Trilogie Essex County und bei dem Vertigo Label mit Sweet Tooth, ist er vor allem mit seinen Arbeiten für DC nun einem breiten Publikum ein Begriff. Es ist auffällig, dass auch im Mainstream seine Arbeiten an Qualität kaum nachlassen.
Mit The Nobody hat er nun irgendwie die Zeit gefunden, eine neue Graphic Novel vorzulegen. Auffällig ist, dass die sich zwischen den Bereichen des Independent und des Mainstream bewegt, also genau zwischen den beiden Polen beheimatet ist, in der Lemire mittlerweile arbeitet. Die grundlegende Thematik ist dabei ähnlich wie bei Essex County: das Leben und die Psyche der Bewohner einer Kleinstadt. Hier wie dort werden die Charaktere auf den Seziertisch gelegt und es wird untersucht wie der Zusammenhalt in einer kleinen Stadt funktioniert. Da hätten wir den Independentbereich. Aus dem Mainstreambereich stammt die literarische Vorlage derer sich Lemire hier bedient: Der Unsichtbare von H. G. Wells. Beides verknüpft er zu einem stimmungsvollen und spannenden Band.
Die Mischform zwischen Independent und Mainstream betrifft im Übrigen auch die Zeichnungen. Zwar ist die Graphic Novel im typischen Stil von Lemire gehalten, der das Mainstreampublikum vielleicht etwas befremdet, weil es „krakelig“ wirkt, aber es fehlen im Gegensatz zu seiner preisgekrönten Trilogie und auch zu Sweet Tooth die herausragenden graphischen Einfälle. Obwohl Lemire immer noch einzigartig kleine mimische Ausdrucksmöglichkeiten äußerst effektiv einsetzt, ist alles doch etwas konventioneller geworden. Zumindest was die Erzählstruktur anbelangt. Einzig die Panelanordnungen und deren Aufteilung geben noch Zusatzbedeutungen. Etwa wenn berichtet wird, dass sich der Fremde mittlerweile in der kleinen Stadt eingelebt hat und er als gegeben hingenommen wird, so sieht man die immer gleich bleibende Silhouette der Person vor verschiedenen Stadtansichten. Das hat etwas von einer Postkarte oder Urlaubsschnappschüssen, aber auch davon, dass sich die Figur nahtlos in das Stadtbild eingefügt hat. Ansonsten ist der Band ziemlich dialoggetrieben.
Lemire nutzt den Unsichtbaren als äußerst passendes Element. Nicht aber als Horrorchiffre, wobei es interessant ist, das jeder, der die Ursprungserzählung (oder die alten Filme) kennt, nahezu auf einen Gewaltausbruch von Griffen wartet und dementsprechend durch eben jene Erwartungshaltung die Spannung geschürt wird. Aber auch die erwartete Action kommt nicht vor. Lemire spielt einfach mit den Erwartungshaltungen indem er eine bekannte Figur nimmt und sie nicht so handeln lässt, wie man es von ihr bis dato kannte. Das macht aber noch nicht das Besondere an der Herangehensweise aus. Vielmehr besteht es darin, dass die Figur eben unsichtbar ist. Und zwar nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes, denn ihr Zustand ist im Grunde nur ein überhöhtes Symbol.
Der Charakter, der Mann, ist ein unbeschriebenes Blatt für die Eingesessenen der Stadt und wird kaum näher charakterisiert. Diese weiße Tafel evoziert schon Reaktionen allein durch ihre blanke Anwesenheit. Sein Charakter und seine Emotionen zählen für die Einwohner der Kleinstadt überhaupt nicht. Ob unsichtbar, bandagiert oder offen sichtbar: es ist ihnen egal. Allein seine Anwesenheit löst Projektionen, Hass und andere Emotionen aus. Die Gemeinde wird folglich aufgewühlt und das muss nicht immer freundlich sein. Ein Kernthema wird in einem Satz schön zusammengefasst, als der Unsichtbare seiner Freundin sagt, dass er in eine Kleinstadt gekommen sei, um seine Ruhe zu haben. Die Antwort: „Allein in einer Kleinstadt? Ha!!“ Das alles ergibt eine interessante Perspektive, aber ebenso wie der Band sich zwischen den Polen bewegt, kann er sich auch nicht richtig entscheiden und bleibt vielleicht deswegen etwas hinter seinen Möglichkeiten zurück. Er ist schön und spannend, aber irgendwie hätte man von dem großen Erzähler Jeff Lemire noch einen Tick mehr erwarten können. Dennoch ist er am Rande eines Meisterwerkes. Aber eben nur am Rande.
Fazit:
Jeff Lemire legt eine geschickt aufgebaute Graphic Novel vor, indem er eine bekannte Horrorchiffre nimmt und allein schon durch die damit verbundenen Erwartungshaltungen Spannung schürt. Ansonsten nimmt er sich wieder seines Kernthemas, der Psychologie der Bewohner einer Kleinstadt, an und erzählt in seinem individuellen Stil. Allerdings fehlen diesmal die herausragenden graphischen Ideen. Fast ein Meisterwerk.

The Nobody
Autor der Besprechung:
Jons Marek Schiemann
Verlag:
Paninicomics
Preis:
€ 19,95
ISBN 10:
3862014649
ISBN 13:
978-3862014644
148 Seiten
Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

- Nutzung einer Horrorchiffre für die Erwartungshaltung
- Sezierung der Psychologie einer Kleinstadt
- gute Symbolik
- geschickte Panelanordnungen
- Spannung

- es fehlen herausragende graphische Ideen

Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic | ||
Bewertung: | ||
![]() (2 Stimmen) | ||
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Rezension vom: | 14.02.2013 | ||||||
Kategorie: | One Shots | ||||||
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