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Comic-Besprechung - Fußnoten
Geschichten:Fußnoten
Autor / Zeichner: Nacha Vollenweider
Story:
Die argentinischstämmige Comiczeichnerin Nacha Vollenweider lebt mittlerweile in Deutschland und fährt zusammen mit ihrer Ehefrau mit einem Vorortzug durch die Umgebung Hamburgs.Während der Fahrt tauchen immer wieder Erinnerungen an ihre Familiengeschichte auf, welche zugleich eine Geschichte Argentiniens der letzten Jahrzehnte ist.
Meinung:
Die Graphic Novel Fußnoten von Nacha Vollenweider erfüllt zum Teil die Erfordernisse der klassischen Definition einer Graphic Novel, indem sie autobiographisch von sich selber und von ihrer Familie erzählt. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass sie und ihre Familie auch etwas Spannendes erlebt haben, was sich lohnt zu erzählen. Das ist definitiv der Fall, denn die Vollenweiders sind Nachkommen von schweizerischen Auswanderern nach Argentinien, welche unter der Militärdiktatur der 1970er gelitten haben und deren aktuelle Generation, wie Nacha, globalisiert ist.
Doch gibt es hier keine reine Familienchronik, sondern die Erzählung an sich ist eher assoziativ. Nacha fährt mit einem Vorortzug von Hamburg, trifft unterwegs ihre Ehefrau und anhand dessen was sie sehen, worüber sie sich unterhalten und je nachdem was ihnen für Menschen begegnen, erinnert sich Nacha an Aspekte ihrer eigenen Geschichte und derer ihrer Familie.
Das kann oft sehr episodisch werden was eine Chronik und Dramaturgie leicht zerbrechen kann. So etwas konnte man zuletzt in Fortmachen beobachten. Doch Vollenweider legt darauf keinen Wert, sondern erzählt bewusst assoziativ. Die eigentliche Erzählung ist dicht und bietet im Grunde sogar eine Einheit von Zeit und Raum. Insofern ist die Struktur sehr geschickt gewählt, da diese Zugfahrt keine reine Rahmenhandlung ist, sondern ein wesentlicher Bestandteil der Erzählung. Schließlich ist alles was eine Person sagt und tut, ihre Einstellung, ihre Dispositionen von der Vergangenheit geprägt. Ihrer Familie, den Erfahrungen, den tradierten Werten, dem kulturellen Hintergrund und wie man in diesem Spannungsfeld lebt. Vollenweider ist von Argentinien nach Deutschland gezogen und erlebt immer wieder die kulturellen Unterschiede. Die titelgebenden Fußnoten sind dann die Hintergründe zu dem was sie sagt, was sie tut, das Erklärende und somit die Kapitelteile welche in die Vergangenheit eintauchen und gerade bei den Szenen welche die Militärdiktatur behandeln setzt sie nicht auf offenkundige Schocks, sondern auf die Symbolik. Streng hält sie sich an die Perspektiven ihrer Figuren. Die Mutter hat nicht gesehen, was mit einem ihrer Söhne geschah, sondern er ist für sie einfach verschwunden. So ist die übrig gebliebene Jacke welche immer noch seit Jahrzehnten im Flur an einem Haken hängt, sehr viel aussagekräftiger und bewegender als Szenen der Brutalität.
Zugleich lernt man aber auch etwas über die Mentalität, über die Geschichte Argentiniens und der Schweiz welches einigen neu sein dürfte, aber nie in das Belehrende geht. Die Erforschung der Familiengeschichte ist vielmehr die Suche nach den Wurzeln, nach den Ursprüngen welche Handlungsmuster erklären können. Zudem gibt es einen schönen Kommentar zu der Flüchtlingskrise ohne einen pädagogischen Zeigfinger, sondern die ganze Handlung macht deutlich warum Menschen flüchten (müssen) und das es immer schon in der Menschheitsgeschichte vorkam.
Zeichnerisch ist das sehr reduziert mit teils sehr expressiven Strichen bei der Umgebung wohingegen die Gesichter der Figuren oft ausgespart oder sehr filigran gezeichnet werden. Ihr Zustand in der Umgebung ist dann oft flüchtig und somit wird deutlich, dass sie dort nicht verwurzelt sind, sondern in einer Übergangsphase stecken. Aber auch ein gewisser Humor wird ausgedrückt. Etwa bei der Szene auf dem Standesamt oder mit den Gartenzwergen.
Vollenweider gelingt ein guter Comic-Essay der leicht daherkommt und doch sehr tiefgründiger ist als es zu sein scheint, da er immer wieder auf aktuelle Bezüge mit den Flüchtlingen verweist ohne offensiv Stellung zu nehmen, sondern es hinnimmt und auch die Hilfe selbstverständlich erscheint. Was sie auch sein sollte.
Fazit:
Ein gelungener Comic-Essay dessen Struktur die unterschiedlichsten Themen geschickt zusammenhält und nicht nur auf die deutsch-argentinische Geschichte anhand einer Familienchronik verweist, sondern auch aktuelle Bezüge unternimmt.
Fußnoten
Autor der Besprechung:
Jons Marek Schiemann
Verlag:
Avant Verlag
Preis:
€ 20
ISBN 10:
3945034671
ISBN 13:
978-3945034675
208 Seiten
Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser
- geschickte Struktur
- Humor und Drama
- interessante Familienchronik
- aktuelle Bezüge
- starker Humanismus
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic | ||
Bewertung: | ||
(1 Stimme) | ||
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Rezension vom: | 21.10.2017 | ||||||
Kategorie: | Independent | ||||||
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