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Einsamkeit und Depressionen
Wohlverstanden: Es gab fantastische Schlägereien, dynamische Bilderfolgen, in denen die Fäuste mit Kondensstreifen durch die Gegend rasten. Es machte «Fpok», «Btamm» und «Btrook», wenn die Superhelden kollidierten. Eine typische «Spider-Man»-Geschichte aber handelte auf ungezählten Ebenen. Intrigen wurden gesponnen im Stil von Shakespeares Königsdramen. Es gehörte zum Konzept der Serie, dass der Held ein Antiheld war, ein Verfemter, der eigentlich nur das Beste wollte, aber von einer feindseligen, bornierten und natürlich von einem fanatischen Zeitungsmann aufgehetzten Öffentlichkeit verkannt, gejagt und zur Missgeburt erklärt wurde. Die Spinne musste hinter einer undurchdringlichen Maske ein Doppelleben führen, was Peter Parker in tiefste Depressionen trieb. Wie oft er sein Kostüm wegschmeissen wollte, weiss ich nicht mehr. Wie sehr er aber unter seiner Vereinsamung litt, ist mir noch heute so vor Augen wie damals. Die Sequenz, die mich am tiefsten berührte und erschütterte, steigerte sich über mehrere Folgen zum dramatischen Finale. Auf dem Cover sah man vor glutrotem Hintergrund den Studenten, wie er sich geknickt vom Schatten des Spider-Man abwandte. Der Titel des englischen Originals lautete «Spider-Man- No more» «Spinne - ade», und irgendwo standen die Worte, die sich mir unauslöschlich ins Herz brannten: «An jenem schicksalhaften Tag», räsonnierte Parker mit zerfurchter Stirn, «an jenem schicksalhaften Tag, als ich zur Spinne wurde, hat vielleicht mehr als nur eine körperliche Veränderung stattgefunden? Vielleicht verlor ich, als ich die andere Identität bekam, auf seltsame, mysteriöse Weise die Fähigkeit, glücklich zu sein!» Der Satz schlug wie ein Fausthieb ein. Nun war kein Halten mehr. Jetzt mussten alle Hefte her. Ich telefonierte einer meiner Mutter bekannten Schneiderin, ob sie mir aus einem alten Calida-Pyjama nicht ein Spider-ManKostüm zusammennähen könnte. Der Plan wurde, als lächerlich durchschaut, fallen gelassen. Dann wurde flächendeckend investiert. Das Reich der Superhelden bestand damals aus zwei völlig verschiedenen, sich wechselseitig ausschliessenden und bekriegenden Universen. Auf der einen Seite gab es die Firma DC, die mit ihren Figuren Superman, Batman, die grüne Laterne und Flash über bewährtes Personal verfügte. Den Abenteuern freilich haftete etwas Abstraktes, Galaktisches, Lebensfremdes an. Irgendwie war den Helden anzumerken, dass sie ursprünglich zur patriotischen Erbauung Amerikas erfunden worden waren. Die Ausnahme machte Batman, der einsame, maskierte Vigilant, der in seiner Villa, die wie ein Grab anmutete, weitgehend humorlos über das Böse an und für sich brütete. Ich mochte ihn nicht, aber ein seltsamer innerer Zwang nötigte mich monatlich, die teuren Bände trotzdem zu kaufen.


Special vom: 04.03.2001
Autor dieses Specials: Roger Köppel (Text) und Vera Hartmann (Fotos)
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Kannibalistische Rituale
Und dann kam Spider-Man
Empathische Rüsselmenschen
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Batman durch den Schredder
Im Büro bei Stan Lee
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Drei Gründe für den Niedergang
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