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Reinhard Sergio Kleist
im.jpg Eine Fabriklandschaft. Uniformierte Männer stehen in Reih´ und Glied, verschwinden in den großen Eingangstoren, F3, F4 und F5. An ihnen vorbei rennt ein Junge, strebt dem Ausgang zu. Ein kurzer Blick auf das Metallschild: „Auf ewig verbunden“ prangt dort. Ein Schild, das in gleicher Aufmachung auch über den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten prangte. „Auf ewig verbunden“ statt „Arbeit macht frei“. Der Junge prallt mit einem Mann zusammen, steckt ihm unbemerkt einen kleinen Zettel zu: „Vor dem Theater heute Abend nach der Vorstellung“.

So führt Reinhard Kleist den Leser ins dunkle Berlin der Zukunft ein, in seinen Zyklus Berlinoir (erschienen in der Edition 52). Zwei Bände hat der gebürtige Rheinländer bisher vorgelegt. Er entwirft ein düsteres Zukunftsbild, in dem die Vampire die Herrschaft über Berlin übernommen haben. Sie sind aus den dunklen Kammern ihrer Verliese emporgestiegen, um auf der Erde ein Reich zu gestalten, wie es Ihnen gefällt. Kleist erzählt seine Geschichte gemeinsam mit dem Berliner Schriftsteller Tobias O. Meissner. Erzähltempo und Erzählverlauf erreichen dabei eine für deutsche Verhältnisse immer noch seltene Professionalität.

biographieger.jpg Genau in diesem Bereich sieht Reinhard Kleist eines der Hauptprobleme für deutsche Comicschaffende: „Die fehlende Aufmerksamkeit im Ausland liegt nicht an der geographischen Lage oder der historischen Schräglage, sondern daran, dass deutsche Zeichner gerne mal unzugängliche Themen anpacken oder so verschwurbelt erzählen/zeichnen, dass man selbst hier Schwierigkeiten hat ihnen zu folgen“, so Kleist. Für seine Berlinoir-Bände scheint dies aber nicht zu gelten, denn sie sind beide auch im frankobelgischen Raum verlegt worden.

Reinhard Kleist hat nicht zufällig Berlin zum Zentrum seiner Geschichte gewählt. Nach seinem Grafik und Design-Studium zog er sofort an die Spree und arbeitet dort mittlerweile in einem Studio mit Fil, Andi Michalke und Mawil in der Kastanienallee im Prenzlauer Berg. Hier entstehen seine Comics, deren bedrückende Atmosphäre zum Markenzeichen geworden ist. Nicht umsonst stellt Kleist den Berlinoir-Bänden ein Zitat Charles Baudelaires voran.

berlinoir4.jpg Denn die Grundstimmung im Werk des französischen Lyrikers ist Desillusion, Pessimismus, Melancholie; die Realität erscheint als überwiegend hässlich und morbide, der Mensch als hin und her gerissen zwischen den Mächten des Hellen und Guten und des Dunklen und Bösen. In einem weiteren Werk, „Das Grauen im Gemäuer“ (erschienen bei der Edition 52), setzt Kleist die mythischen Schauergeschichten von H.P. Lovecraft in Szene.

Auch hier dominiert das Unheimliche, Morbide und Krankhafte. 1996 gewann der Band den Max und Moritz-Preis in Erlangen. Für Kleist ist diese Grundstimmung eine der wenigen Gemeinsamkeiten innerhalb der deutschen Comicszene.

Er beschreibt sie „als grüblerischer und introvertierter“ als in anderen Kulturkreisen. Aber: „Ich vermisse eher einen wirklich deutschen Stil. Andererseits: Wenn’s einen geben würde, würde ich ihn wahrscheinlich hassen“, so Kleist weiter. An seinen Zeichnungen erkennt man, dass es nicht der frankobelgische Sprachraum ist, der ihm seinen Stempel aufgedrückt hat. „Meine Einflüsse kamen von über dem großen Teich und vom anderen Ufer des Ärmelkanals, Sienkiewicz, McKean, Miller, Mignola, Kent Williams“, so Kleist.

Allerdings gelingt es ihm einen eigenen Weg zu finden, dessen Erzählstil Anleihen beim Film macht – nicht umsonst lautet einer seiner Spitznamen Sergio Kleist.

Von Reinhard Kleist kann noch viel erwartet werden. Dabei scheint sich abzuzeichnen, dass er auch bei zukünftigen Projekten seinem Stil treu bleiben wird. Derzeit erstellt er eine Comicbiographie zu Johnny Cash. Die Melancholie des „Black Cowboy“ reiht sich dabei lückenlos in das übrige Werk ein. Wobei Kleist sich in doppelter Hinsicht eines zeitgemäßen Stoffes angenommen hat. Denn einerseits wird durch den biographischen Film „Walk the Line“ 2006 zum Johnny Cash Jahr und außerdem trifft er mit einer Comicbiographie genau den Zeitgeist: „Momentan haben eher Bücher, die nahe am Leben der Menschen dran sind, eine Chance beachtet zu werden“, so Kleist. „Der Eskapismus scheint im Comic gerade vorbei zu sein. Was interessiert ist biografisches und persönliches, oder Themen die einen Aufhänger haben. Eine Merkel Biographie würde sich verkaufen wie geschnitten Brot. Die mache ICH aber nicht“, fügt er hinzu. Das Erscheinen des Bandes ist für den Herbst 2006 vorgesehen. Bei der Edition 52 wird zu dem regulären Album, das bei Carlsen erscheinen wird, eine limitierte Sonderedition mit CD-Supplement und signiertem Offsetdruck im Frühjahr nächsten Jahres erscheinen.


Special vom: 24.02.2006
Autor dieses Specials: Bernd Hinrichs
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