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Interview mit Volker Reiche | |
Wie kamst du dann auf die Idee, der FAZ einen Tagesstrip anzubieten? Reiche: Im Comic, den ich für meine Strizz-Ausstellung auf große Tafeln gezeichnet habe und der in COMIXENE 93 abgedruckt ist, berichte ich recht getreu, wie beeindruckt ich davon war, dass in meiner Frühstückslektüre, der FAZ, plötzlich ein großer Comic – von Appleby – auftauchte. Ich konnte mir sofort vorstellen, diesen Herrn einmal zu beerben und auf diesem wunderschön gelegenen Bauplatz meine eigene Comicwelt zu errichten. Spielte hierbei auch eine Rolle, dass dich die amerikanischen Comic-Strips schon von Jugend an fasziniert haben? Reiche: Ich bin ja in Frankfurt viele Jahre jede Woche in den Bookshop des amerikanischen PX gegangen – für alle Geschäfte des PX brauchte man eine amerikanische ID-Card, nur für den Bookshop nicht! – und habe mir The Stars and Stripes und die Sunday News mit ihren herrlichen großen farbigen Wochenendbeilagen geholt. Auch sonst habe ich regelmäßig alle Newspaper-Strips gelesen, die in Deutschland in Übersetzung veröffentlicht wurden. Vielleicht haben mich die präzisen kurzen Geschichten der Strips vor allem deshalb immer fasziniert, weil mein eigener Schreibstil ganz anders ist – mäandernd und assoziativ. Bei Strizz kann ich ja meinem Laster, keineswegs zügig auf den Punkt zu kommen, weiterfrönen, weil ich – Appleby sei Dank, der das Format vorgab! – nicht nur einen Streifen, sondern zwei zur Verfügung habe, um meine kleinen Geschichten zu erzählen. Man hat fast das Gefühl, dass in Strizz alles kulminiert, was du zuvor an privaten und beruflichen Erfahrungen gemacht hast. Da werden von Freunden und Weggefährten Namen und mitunter sogar Charakterstudien entlehnt und da tauchen – wenn auch etwas verändert – selbst "alte" Figuren von dir wieder auf, wie etwa der Analytiker Dr. Leo aus Hinz & Kunz. Ist Strizz die große Serie, auf die in deinem Leben im Grunde alles zulief? Reiche: Ganz sicher. Aber vor allem ist es natürlich unverschämtes Glück, diesen Bauplatz plötzlich vor die Füße gelegt zu bekommen. Denn gekämpft um Strizz habe ich keine Sekunde mit Patrick Bahners und Andreas Platthaus. Die beiden haben nach meiner ersten ruhigen Anfrage sofort freundlich und entschieden gesagt: „Recht gern. Mach ein Konzept.“ Wenn ich von „unverschämten Glück“ spreche, dann weiß ich aber auch, dass für viele Zeichner der Gedanke, fünfmal in der Woche eine ganze Comic-Seite zu schreiben und zu zeichnen – denn Strizz ist ja ummontiert nichts anderes als eine vollgültige Comic-Seite mit vier Zeilen – der reine Horror ist. 52 Wochen im Jahr fünfmal reibungslos und abgabesicher als Autor und Zeichner zu „funktionieren“ ist für kaum jemand ein Wunschtraum. Ist das nicht irrsinnig stressig? Passiert es einem da nicht auch mal, dass man eigentlich nichts zu sagen hat? Reiche: Das ist die beliebteste Frage bei allen öffentlichen Auftritten in Literaturhäusern und beim Signieren. Die ehrliche Antwort ist: Es gibt keine Ladehemmungen, deshalb fällt Strizz – jedenfalls aus diesem Grund – nicht aus. In den sozialisationsbetonten Siebzigern hätte ich vermutlich verbindlich und volksnah geantwortet: „Jeder kann das Schreiben und Erzählen lernen. Nützlich ist auch, in einer Familie mit Büchern aufgewachsen zu sein!“ Das ist meines Erachtens bestenfalls die halbe Wahrheit. Ich vermute, dass der Wille und Trieb zum Erzählen und Mitteilen ganz wesentlich angeboren ist, im Palast des Sultans wäre ich der Geschichtenerzähler, ebenso unter der Palme im Dschungel von Schwarzafrika. Man kann so einen Job nur übernehmen, wenn man sicher weiß, dass man dauerhaft belastbar ist, dass man den Job ohne Wenn und Aber liebt und dass man die Angst des Autors vor dem leeren Blatt Papier nicht kennt. Und natürlich habe ich genau aus dem Grund keine Angst, dass mir nichts einfallen könnte, weil ich beim Schreiben von Strizz völlig freie Hand habe und hemmungslos über alles und jedes, was mir durch die Birne rauscht, plaudern darf. Aber nebenbei und unter uns – die Arbeit schlaucht gewaltig, und ich will dieses Jahr unbedingt einen ordentlichen Sommerurlaub nehmen. Ich dachte immer, die Sommerfortsetzungsromane wurden bereits vor Jahren eingeführt, damit du dir und deiner Frau regelmäßig einen Jahresurlaub gönnen konntest? Reiche: Genau, die Sommerfortsetzungsromane wurden erdacht, um aller Sorgen ledig im Meer zu plätschern und Vino Tinto reinzusaugen! Leider habe ich es bisher nie geschafft, sie auf Vorrat zu zeichnen. Kommt aber noch! Schwöre ich mir selbst! Aber noch einmal kurz zurück. Wie bist du das Abenteuer eines täglichen Comic-Strips ursprünglich angegangen? Reiche: Strizz ist ein höchst merkwürdiger Lebensabschnitt für mich. Denn in meinem Alter – ich werde dieses Jahr 62 – schalten viele Leute einen oder zwei Gänge zurück oder hören ganz auf zu arbeiten, auch Freunde und Bekannte von mir. Ich hingegen gebe Gas wie nie in meinem Leben – sehr sonderbar. Andererseits wird mein Freund und großer Zeichnerkollege Hans Traxler dieses Jahr 77 und arbeitet vergnügt und viel und munter. Das Abenteuer eines täglichen Strips bedeutet leider tatsächlich einen weitgehenden Verzicht auf viele Freuden des Lebens – Sport und Spiel, Wandern, Tennis, Freunde, Kino und Konzert, all das wird rabiat heruntergefahren. Sehr unschön, aber nicht zu ändern. Beziehungsweise nur zu ertragen mit dem Gedanken, dass es sich auch bei Strizz nur um einen Lebensabschnitt handelt, der irgendwann kühl beendet wird, um im Gras zu liegen und Wolken zu betrachten. Der Vorteil einer tagtäglich produzierten Strip-Serie ist es natürlich, dass du mit "deiner Theatertruppe" hervorragend das tagesaktuelle Geschehen in Politik und Gesellschaft aufgreifen kannst. Reiche: Schon als Jugendlicher hat mich Politik interessiert. Ich habe immer eine Tageszeitung und Wochenmagazine gelesen. Politik ist ein faszinierendes Feld menschlicher Anstrengungen, Anmaßungen, Dummheiten, Selbstüberschätzungen und – selten genug – erstaunlicher oder gar richtiger Entscheidungen. All dies ist natürlich – auch wenn man sich hingebungsvoll informiert – sehr schwer zu beurteilen, ein Feld der ewigen Irrungen und Wirrungen auch für mich. Deshalb aber auch so packend. Meine Absicht ist ganz schlicht: mein Comic-Personal lebt heute und jetzt und sitzt wie ich vor der Tagesschau und staunt über Merkel, Stoiber und Bsirske. Das will ich zeigen. Erstaunlich ist nur, dass das im deutschen Comic-Strip vor mir niemand so recht wollte. Spielt es auch eine Rolle, dass der Strip in der FAZ erscheint? Reiche: Dass Strizz in der FAZ erscheint, spielt für mich vor allem deshalb eine Rolle, weil die Redaktion der FAZ mir absolute und unangetastete Freiheit gibt, meine Figuren sagen und denken zu lassen, was sie wollen. Selbstverständlich ist auch der Gedanke wohltuend, dass FAZ-Leser lesen können und auch verstehen, wovon in meinen Comics die Rede ist. Erziehen will ich niemanden, aber meinen Senf dazugeben will ich durchaus. Das komplette Interview, das Martin Jurgeit mit Volker Reiche führte, ist in COMIXENE 93 zu lesen. |
Special vom: | 22.03.2006 |
Autor dieses Specials: | Comixene |
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