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Die Erfolgsgeschichte „Bone“ vom Kindergarten zur Farbausgabe
bone_tb_cov_01.jpg Jeff Smiths Comicserie „Bone“ hat die Welt verändert.

Nun ja, zumindest die Welt der Comics. Als im Sommer 1991 das erste „Bone“-Heft erschien, ahnte wohl niemand, was sich hier für ein kommerzieller Erfolg anbahnte und wie diese Serie, die wie eine Mischung aus Bugs Bunny trifft den Herrn der Ringe daher kam, das Comicgeschäft beeinflussen würde. Aber der Reihe nach.

„Ich habe mir die Bone-Vettern ausgedacht, als ich im Kindergarten war“, behauptete Jeff Smith 1996, „ich weiß noch, wie ich im Alter von fünf Jahren auf dem Teppich saß, ein Stück Papier vor mir. Ich versuchte etwas lustiges wie Mickey Mouse oder Bugs Bunny zu zeichnen. Ich mochte diese Figuren, die ich da gerade gemacht hatte und dachte: ‚Das werden mein Charaktere‘. Die Geschichten waren nicht besonders sophisticated, aber die Charaktere sind seitdem intakt geblieben.“ Selbst wenn diese Geschichte ausgedacht ist, muss man Smith zugestehen, das sie verdammt gut ausgedacht ist. In der wahren Welt dauerte es noch einmal 17 Jahre, bis „Bone“ tatsächlich auf Papier gebannt wurde.

1982 immatrikulierte Jeff Smith sich an der Ohio State University (OSU). Die Entscheidung für diese Hinterwäldler-Uni traf Smith ganz bewusst, denn hier erschien die Studentenzeitschrift „The Lantern“, die immerhin eine Auflage von 50.000 Exemplaren erreichte. Smith belegte ein Semester lang einen Journalistenkurs, schrieb sich für das Fach Kunst ein und bot der Redaktion seinen Strip „Thorn“ an. Die akzeptierten, „und ich hob ab.“

Tatsächlich sind die Anfänge der langen und komplexen „Bone“-Handlung bereits in den Strips zu sehen. Die drei Bone-Cousins sind in einem verwunschenen Tal gestrandet und leben jetzt bei Thorn und ihrer strengen Großmutter. Ganze Dialoge und Gags findet man schon hier. Aber der Strip „Thorn“ belegt auch, dass „Bone“ schon immer ein work in progress war. Denn als neun Jahre später das erste echte Heft erschien, setzte die Handlung genau an dieser Stelle ein. „Ich wollte wenig über die Vorgeschichte der Bones erzählen“, sagt Jeff Smith, „denn meine Story drehte sich um das verzauberte Tal. Wenn ich in Boneville angesetzt hätte, würden die Leser die ganze Zeit über erwarten, dass man zu dem Punkt zurück kehrt.“

Und so treffen wir also auf einem Berggipfel die drei Bone-Cousins, den klugen und freundlichen Fone, den etwas dämlichen Schlacks Smiley und den gierigen Misantropen Phoncible P. Bone. Letzterer ist Schuld daran, dass die drei aus ihrer Heimatstadt vertrieben wurden und sich nun auf der Flucht befinden. Dabei werden sie getrennt und Fone begegnet in schneller Reihenfolge allen wichtigen Haupt- und Nebenfiguren: Da ist der geheimnisvolle Große Rote Drachen, der immer eine lässige Fluppe im Mundwinkel hat, da tauchen die dummen, gefräßigen Rattenmonster auf, Ted die Wanze und sein großer Bruder weisen ihm den Weg, die niedliche Opossum-Familie gewährt ihm zeitweise Unterschlupf und schließlich trifft er auf Thorn - in die sich Fone stante pede verliebt - und ihre Großmutter, die Haare nicht nur auf den Zähnen hat. Schon bald wird klar, dass hinter Thorn und ihrer Großmutter eine größere Geschichte lauert, doch es sollte 13 Jahre und 1.332 Seiten dauern, bis die Geschichte zu einem guten Ende gelangt.


Vermutlich war es die bereits oben erwähnte Mischung aus Fantasy- und Funny-Elementen, die „Bone“ zu einem so großen Erfolg werden ließ. Alleine das erste Heft erlebte sieben Auflagen. Eine Sensation, denn Smith hatte „Bone“ nicht etwa bei einem der großen US-Verlage unter gebracht. Nicht mal einer der kleineren, unabhängigen Publisher brachte die Serie in die Comicläden. Nein, Smith hatte mit Cartoon Books einen eigenen Verlag gegründet und erledigte zunächst alles, vom zeichnen und texten bis hin zum Vertrieb selbst. Da allerdings bekanntlich hinter jedem erfolgreichen Mann eine Frau steht, darf man vermuten, dass Smiths damalige Freundin und jetzige Ehefrau Vijaya Iyer nicht ganz unschuldig am Erfolg des Verlags war.

bone_col_cov_01.jpg „‘Bone‘ war wie eine Prise frischer Luft“, sagt der Künstler und Kommunikationstheoretiker Scott McCloud, „ein Comic für alle Altersstufen, der klug, lustig und wunderschön gezeichnet war.“ In der Tat, schaut man sich die redundanten Erzählungen an, die damals wie heute den US-Markt dominieren und die seit 20 Jahren nur für fallende Auflagen verantwortlich sind, dann erkennt man die Bedeutung von Jeff Smith für die amerikanische Comicszene um so besser. „Self publishing“, bis dahin ein Ausweg für diejenigen, die sich nicht am Rattenrennen beteiligen wollten, wurde plötzlich zu einer Straße der Sieger. Vor „Bone“ war in diesem Bereich lediglich Dave Sims grandiose Serie „Cerebus“ erwähnenswert, erst danach tauchen Künstler wie Terry Moore, Brian Michael Bendis, Mike Allred, David Mack oder Alex Robinson auf, die sich entweder bewusst nicht von den Majors umarmen lassen wollten oder die Arbeit für die Großverlage nur zur Finanzierung ihrer eigenen künstlerischen Visionen benutzten.

Schon bei den Neuauflagen der ersten Hefte fiel auf, dass Smith kleinere Änderungen auf den Seiten einbaute, hier einen Schatten anders schraffierte, dort einen Baum in den Hintergrund platzierte. Nicht viel anders war Hergé mit seinem „Tim und Struppi“ vorgegangen; von einigen Alben existieren vier völlig verschiedene Versionen. Der wahre Charakter von „Bone“ als work in progress zeigte sich jedoch deutlich, als Cartoon Books begann, die Hefte in Sammelbänden zu veröffentlichen. Diese Veröffentlichung als Buch kam Smiths Erzählweise viel mehr entgegen, ganze Seiten wurden neu hinzu gezeichnet, Kapitel aufgespalten um den Erzählfluss zu optimieren. „Bone“, so wurde klar, ist eine äußerst komplexe Erzählung, die Vision eines einzelnen Künstlers. „Die große Geschichte hatte ich immer im Hinterkopf“, sagt Jeff Smith, „und Anspielungen darauf gibt es seit dem ersten Kapitel immer wieder.“ Die letzte größere Änderung ist nun die Farbversion, die seit 2005 veröffentlicht wird, ausschließlich in Buchform und mit der Unterstützung eines Verlages, der dafür sorgt, dass „Bone“ nicht nur in Comicshops verkauft wird, sondern in jeder Buchhandlung der USA.

Bereits 1993 gewann Jeff Smith seinen ersten Eisner Award für „Bone“ in der Kategorie „Bester Humortitel“, bis 1994 waren es bereits fünf Preise, 2002 kann er auf eine Gesamtzahl von 34 Preisen zurückblicken, darunter natürlich auch Deutschlands höchste Comicauszeichnung: der Max-und-Moritz-Preis der Stadt Erlangen. Und trotz der Schwierigkeiten, die Smith bei der Vollendung seines magnum opus hatte - immer längere Pausen zwischen den einzelnen Heften sprechen da eine deutliche Sprache - wir müssen uns Jeff Smith als glücklichen Menschen vorstellen: „Seit über zehn Jahren bin ich nun zusammen mit meiner Frau auf dieser Fahrt, sie hat uns ein Haus eingebracht, ein Einkommen, wir können die Welt bereisen. Wir waren in der Toscana, Bordeaux, Paris. Ich habe jeden Cartoonisten kennen gelernt, den ich bewundere. Ich habe Zeit mit Jules Feiffer, Charles Schulz, Neal Adams, Joe Kubert verbracht. ‚Bone‘ hätte mein Leben nicht noch viel mehr verändern können.“

P:S.: Ernest Hemingway hat einmal erklärt, er beneide alle Leser, die zum ersten Mal in ihrem Leben Tolstoi, Turgenjew, Dashiell Hammett oder Mark Twain lesen und für sich entdecken. So geht es mir mit den Leuten, die zu „Bone“ erst mit der Farbausgabe gefunden haben. Ihnen steht eine turbulente, witzige und spannende Reise bevor. Genießen Sie‘s!

Lutz Göllner ist Redakteur beim Berliner Stadtmagazin 'zitty'.


Special vom: 21.09.2006
Autor dieses Specials: Lutz Göllner
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
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Character Guide
Portrait Jeff Smith
Signiertour von Jeff Smith
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Pressestimmen
Bone als PC-Adventure Spiel
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