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Interview mit Marco Rota
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Das neue Donald Duck Sonderheft Spezial Nr. 8 (seit 24. Oktober 2006 im Zeitschriftenhandel) ist komplett dem Werk von Marco Rota gewidmet und stellt auf fast 100 Seiten sechs längere Geschichten des Zeichners vor, darunter mit „Speisen auf schottische Art“ auch eine deutsche Erstveröffentlichung.

Im Band selbst gibt es nur eine gekürzte Fassung dieses Interviews, welches hier in ganzer Länge nachzulesen ist.

Abdruck, auch auszugsweise nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags. Copyright: © Egmont Ehapa Verlag 2006
Fragen und Übersetzung: Michael Bregel, Autor und Disney-Übersetzer.

Anm.: Die Absätze, Anführungen und Klammern folgen weitgehend denen, die Marco Rota im Originaltext gemacht hat.

Dieses Interview könnt Ihr auch als PDF downloaden:

Interview mit Marco Rota als PDF-Download (280 KB)

1. Herr Rota, Sie sind seit Ihrem Debüt 1958 mit „Steve Morgan il trappolatore“ als Comic-Macher aktiv, feiern also bald 50jähriges „Bühnenjubiläum“. Dabei haben sie in den 60er-Jahren nach frühen Disney-Erfahrungen als Redakteur auch Western, Superhelden-Comics und erotische Comics gezeichnet, um dann doch wieder in Entenhausen zu landen und zu bleiben. Was macht die Enten und Mäuse für Sie so reizvoll?
Marco Rota: Zunächst einmal natürlich der bemerkenswerte grafisch-erzählerische Aspekt der Disney-Werke allgemein, der anatomische Aufbau der Charaktere... – ich glaube, über die dem innewohnende Qualität kann es keinerlei Zweifel geben. Seit ich als kleiner Junge meinen ersten Disney-Zeichentrickfilm gesehen habe, bin ich so fasziniert von diesen Bildern, dass ich insgeheim immer gehofft habe, dass diese Figuren irgendwo auf der Welt tatsächlich existieren und nicht einfach verschwinden, wenn der Film zu Ende ist. Außerdem haben die Geschichten von Barks, Gottfredson und einer Menge anderer Künstler in mir das Verlangen geweckt, mich auch in diesem Bereich auszuprobieren (als ich noch sehr jung war, hatte ich bereits für vier Monate in zwei Studios gearbeitet, in denen Animationsfilme, Cartoons produziert wurden: „Pagot Film“ und „Picardo Film“, beide in Mailand). Aber abgesehen vom „Disney-Stil“ allgemein hat mein größtes Interesse immer die Tatsache hervorgerufen, dass die Disney-Figuren – dank Barks, Gottfredson und Taliaferro – „menschliche“ Züge angenommen haben. Sie wirken „echt“ auf mich. Ich sehe sie als „menschliche Wesen“ – natürlich im Rahmen der Disney-Codes – mit all den Begabungen, Vorzügen und Fehlern, die jeder von uns hat. Ein Beispiel: Wenn ich zeichne, stelle ich mir dabei echte Personen vor, nicht „antropomorphe Charaktere“. Und das hat für mich etwas Magisches, das über die rein materielle Umsetzung einer Geschichte hinausgeht.

2. Von 1974 bis 1988 waren Sie Art Director der Disney-Produktion bei Mondadori, der Verlag hatte damals die italienische Disney-Comiclizenz. Welche Schwerpunkte haben Sie damals bei ihrer Arbeit mit den Zeichnern und Autoren gesetzt? Gibt es heute aus Ihrer Sicht in der italienischen Disney-Produktion noch sichtbare Spuren Ihres Einflusses?

Marco Rota: Die Antwort auf diese Frage ist komplex. Ich versuche mal, das zusammenzufassen. Art Director der Disney-Abteilung bei Mondadori zu sein, hat mir ja nicht erlaubt, alles völlig frei zu entscheiden, meine eigenen Ideen zu entwickeln oder die Voraussetzungen für eine andere Art von Arbeitsbeziehung mit meinen Mitarbeitern zu schaffen als die bis dahin praktizierte. Es gab Herausgeber, vor denen ich mich für das, was ich tat, verantworten musste: Mario Gentilini (von 1973 bis 1980) und Gaudenzio Capelli (von 1980 bis 1988). Und die waren oft anderer Meinung als ich, wie die Arbeit gemacht werden sollte. Theoretisch mag diese Hierarchie angemessen sein - die Verantwortung für eine Veröffentlichung liegt nun mal beim Chef - aber in der Praxis hat es meinen Handlungsspielraum sehr begrenzt. Ich kann und will da nicht ins Detail gehen, auch weil die andere Seite nicht die Möglichkeit hat, zu meinen Aussagen Stellung zu beziehen, aber kurz gesagt hatte ich die Pflichten und die Arbeitsbelastung und die beiden Herausgeber haben die Anerkennung dafür eingestrichen. Ich wurde auch oft gebeten, Probleme zu bereinigen, die sie mit Mitarbeitern hatten – das waren aber Probleme der Geschäftsführung, wirtschaftliche Probleme, keine aus dem grafischen, erzählerischen, künstlerischen Bereich. Und ich habe da auch Fälle gelöst, die manchmal durchaus schwierig zu nennen waren. Das war es aber nicht, was ich machen wollte. Manchmal stand ich in solchen Situationen dann sogar als „der Böse“ da, während der Herausgeber „der Gute“ war, weil er sich dabei im Hintergrund hielt und nicht offen in Erscheinung trat. Man kann sich vorstellen, dass diese Arbeitsbeziehung starken Einfluss auf meinen Enthusiasmus bezüglich dessen hatte, was eigentlich mein Hauptaufgabengebiet war: die kreative Seite. Wie auch immer, sagen wir, dass ich, um meine Position zu rechtfertigen, sehr viel Wert auf die grafische Darstellung der Figuren gelegt habe, die in jedem Fall immer Sympathie zum Ausdruck bringen mussten. Außerdem war mir die grafische „Lesbarkeit“ der Panels und, in größerem Rahmen, der Geschichten im Ganzen wichtig. Ebenso die Proportionen der Figuren im Verhältnis zu allem anderen, zu dem Umfeld, in das sie gesteckt worden waren, auch in Bezug zu den verschiedenen Transportmitteln und ähnlichem.

Ich habe damals – um den Kollegen das verständlich zu machen oder um ihnen die Bedeutung zu vermitteln – viel über die Philosophie graphischen Erzählens gesprochen, die der Arbeit von Barks, Gottfredson, Al Taliaferro, Paul Murry und auch der Italiener Romano Scarpa und Giovan Battista Carpi zugrunde lag. Leider war es angesichts meiner begrenzten Handlungsfreiheit eine ziemlich schwierige Aufgabe, unter diesen Bedingungen anzuleiten und zu entwickeln. Darüber hinaus waren manche Zeichner auch gar nicht in der Lage, solche Anregungen aufzunehmen, sie hatten einfach nicht das Talent dafür, es war wie Wasser in ein löchriges Gefäß zu gießen. Und ich konnte an dieser Situation überhaupt nichts ändern. Manchmal kam es zum Beispiel vor, dass Mitarbeiter, die eine zuvor abgesprochene Änderung an einer Geschichte nicht umsetzen wollten, einfach mit dem Herausgeber redeten, um dem zu entgehen. Um sich großzügig zu zeigen, unterstützte der das dann auch noch und schuf damit widersprüchliche Anweisungen für unsere Arbeit. Wie auch immer, das eigentliche Problem war ja nicht, manche Sachen zu überarbeiten oder neu zu machen, sondern die Philosophie der grafischen Erzählweise wieder zu verdeutlichen. Unter diesen Bedingungen war es mir jedenfalls nicht möglich, das zu schaffen. Sagen wir ruhig, ich wurde daran gehindert, und ich verstehe nicht warum. Vielleicht aus einer – wenn auch versteckten – Eifersucht heraus (so was befällt auch Redaktionsleiter), oder vielleicht weil sie befürchteten, ich könnte zu wichtig werden. Es gab auch noch einen ökonomischen Aspekt, über den wir oft aneinander geraten sind: Ich vertrat die Meinung, wir müssten bessere Qualität verlangen, gleichzeitig aber die Vergütung der Mitarbeiter erhöhen. Dieses Argument wurde total abgeblockt.

Wenn man alles einbezieht, was ich erzählt habe, sind in der aktuellen Disney-Produktion also absolut keinerlei wahrnehmbare Spuren meiner Arbeit als Art Director übrig geblieben, weil sich meine Ideen gar nicht entwickeln konnten und so in mein Inneres verbannt geblieben sind. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke – auch mit der Distanz so vieler Jahre – bleibt angesichts all der interessanten Sachen, die man hätte machen können, für mich doch ein bitterer Nachgeschmack...

3. Bald nachdem Disney 1988 in Italien selbst die Herausgabe seiner Comics übernommen hat, haben Sie begonnen, als Autor und Zeichner direkt für die Disney-Produktion von Egmont in Dänemark zu arbeiten. Bietet Ihnen das als Disney-Künstler mehr Freiheiten als zuvor als in die Verlagsarbeit eingebundener künstlerischer Leiter bei Mondadori? Warum wollten Sie ab 1988 nicht direkt für Disney Italia arbeiten?

Marco Rota: Das ist eine komplett andere Arbeitsbeziehung. Vorher, bei Mondadori, hatte ich die Freiheit, mir Disney-Geschichten auszudenken und sie umzusetzen, ohne vorher die Zustimmung des Redaktionsleiters einzuholen. (Das ist eine ganz andere, persönliche Sache, die nichts mit den Dingen zwischen Kollegen zu tun hat, über die ich vorhin gesprochen habe.) Angesichts der Tatsache, dass ich ja für diesen Bereich verantwortlich war, habe ich Ideen ohne Einmischung von anderen bis hin zur kompletten Fertigstellung der Geschichten entwickelt. Bei Egmont muss ich erst mal meine Ideen vorlegen, und erst wenn die angenommen worden sind mache ich die Texte und Skizzen für die Story. Nach einer weiteren Kontrolle von Egmont kann ich dann, wenn es keine Probleme gibt, die tatsächliche grafische Umsetzung der Geschichte in Angriff nehmen. Ehrlich gesagt gibt es da aber selten größere Schwierigkeiten. Die Arbeitsbeziehung mit den Verantwortlichen der Disney- Redaktion, die diese Arbeiten beaufsichtigen, war immer sehr konstruktiv. Das sind tüchtige und präparierte Leute, mit denen man in Ruhe reden kann. Eine sehr angenehme Arbeitsbeziehung.

Was Ihre zweite Frage betrifft, die erfordert eine ziemlich lange Antwort. Ich versuche, das mal zusammenzufassen: Mein ehemaliger Freund und Kollege Gaudenzio Capelli, der zu dieser Zeit (1988) Herausgeber der Disney-Periodika bei Mondadori war – der Posten, den zu übernehmen man ihm auch bei Disney Italia anbot – „wollte nicht“, dass ich ihm an diesen neuen Arbeitsplatz folge. Das war der klassische „Dolchstoß in den Rücken“, den ich angesichts unserer freundschaftlichen und herzlichen Beziehung, die bis ins Jahr 1962 zurückreichte, von ihm nie erwartet hätte. Ich hielt ihn für sympathisch, zuverlässig, wir trafen uns auch außerhalb des Büros. Wir spielten über Jahre zusammen Tennis-Doppel bei regionalen Club-Turnieren. Das nur, um klar zu machen, welche Art von Verhältnis wir hatten. Natürlich wäre ich, wenn ich etwas geahnt hätte, selbst aktiv geworden und hätte mit den Führungskräften im Disney-Büro in Mailand gesprochen, die ich ja wie Capelli sehr gut kannte, um zu versuchen, diese Sache zu vermeiden. Ich erlebte also eine große Enttäuschung und Verbitterung.

Was waren die Motive für seine Entscheidung? Vielleicht eine heimliche Eifersucht mir gegenüber. Capelli war kein Kreativer – er hat sein ganzes Leben lang nicht mal versucht, eine Disney-Story zu schreiben – und vielleicht litt er unter der Tatsache, dass ich beide Seiten unserer Tätigkeit kannte: die geschäftliche und die kreativ-grafische. Vielleicht fürchtete er, dass ich ihm seinen Posten wegnehmen könnte – oder darauf zumindest warten würde. Das lag zwar nicht in meiner Absicht, etwas in der Art hätte aber durchaus auch passieren können, weil ich ja wie er die beiden Leiter des Disney-Büros in Mailand, aus dem dann Disney Italia wurde, gut kannte. Im Rahmen der neuen Verlagsstruktur, die ja anfangs noch überschaubar war, wären eventuelle Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und mir direkt auf dem Schreibtisch des Präsidenten und Generaldirektors der Gesellschaft gelandet. Es hätte genügt, die Tür aufzumachen und ins Büro des Chefs zu gehen, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Ich denke, vor diesem Schritt hatte Capelli Angst. Bei Mondadori war es üblicherweise notwendig, den Dienstweg einzuhalten. Aber ich glaube, auch die Offiziellen von Disney Italia fürchteten eine Auseinandersetzung, Dissonanzen in der neuen Redaktion hätten die ebenfalls neuen Redaktionsabläufe schwieriger gemacht. Man darf nicht vergessen, dass das eine Übergangszeit zwischen zwei Epochen war: Nach rund 53 Jahren verlor Mondadori die italienischen Disney-Rechte und die neue Gesellschaft, die gegründet worden war, um die Produktion in Eigenregie fortzusetzen, konnte noch nicht wissen, was die Zukunft für sie bringen würde. Man stelle sich das Trauma vor, das es ausgelöst hätte, wenn dieses Unternehmen gescheitert wäre. Also akzeptierten sie, als Capelli, nachdem man ihm den Herausgeber-Posten angeboten hatte, forderte: „Ich will freie Hand bei der Auswahl der neuen Redakteure! Ich will nicht, dass man mir irgendeinen Namen aufzwingt!“ (Dieser Name war ich, weil ich außer ihm und einer anderen Person der Einzige aus der Mondadori-Redaktion war, den die Disney-Führungsleute kannten.)

Vor allem während der ersten Monate dieser Übergangszeit wunderten sich diverse Leute – sogar manche der amerikanischen Disney-Oberen aus Burbank, die ich persönlich bei einigen Meetings kennengelernt hatte – darüber, dass ich nicht mit Capelli in die neue Gesellschaft gewechselt war (man hielt uns für ein unzertrennliches Duo, und er ließ das bis dahin auch alle denken) und man fragte mich über mich und mein Motiv aus, warum ich nicht bei Disney Italia arbeite. Wie mir berichtet wurde, antwortete Capelli auf entsprechende Nachfragen: „Rota wollte nicht mit mir mitkommen! Er wollte lieber bei Mondadori bleiben!“ Offensichtlich konnte und wollte er nicht die Wahrheit sagen! Das ist der Grund, warum ich nicht für Disney Italia gearbeitet habe. Ich entschied, dass ich dort nicht mal hingehen würde, um einen Kaffee zu trinken, solange Capelli dort die Hosen anhätte (manchmal haben sie mich aber trotzdem auf einen Kaffee und ein Schwätzchen eingeladen). Nach allem, was passiert war, scheint es fast unglaublich, aber Capelli hatte tatsächlich den Mut, mich noch mehrmals im Zusammenhang mit speziellen Disney-Projekten um Zusammenarbeit mit dem neuen Verlag zu bitten.

Ich war allerdings so verbittert – nachgerade angeekelt – von Capellis Verhalten, dass ich beschloss, nie wieder Disney-Storys zu machen. Tatsächlich blieb ich dann für mehr als zweieinhalb Jahre – ungefähr – diesbezüglich inaktiv. Es waren die Briefe von Lesern, die ja nichts von dem, was vorgefallen war, wussten – aus Italien wie aus dem Ausland – die mich noch bei Mondadori erreichten und mich von Neuem anspornten. Also beschloss ich, bei Egmont zu fragen, ob es die Möglichkeit einer Zusammenarbeit gebe. Man freute sich über meine Anfrage. Ich muss also den Redakteuren der Disney-Abteilung bei Egmont in Kopenhagen für ihre herzliche Verfügbarkeit danken. Und ich danke ihnen auch dafür, dass sie es mir ermöglicht haben, weiter im Disney-Sektor zu arbeiten.

Lest weiter im zweiten Teil (einfach "Weiter" hier unten anklicken).
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Special vom: 24.10.2006
Autor dieses Specials: Michael Bregel
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