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Interview mit Herausgeber Mike Loos: Teil Eins
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1. Erst einmal herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung der dritten Strichnin-Ausgabe. Zu Beginn des Gesprächs etwas Kritik: Laut Website angekündigt für Herbst´10, erschien das Heft erst im Frühjahr diesen Jahres. Wer oder was ist verantwortlich für diese Verspätung?

Mike Loos (ML): Die Comic-Beiträge lagen ab dem 30. Juli, dem Ende des Sommersemesters, vor. Leider ist das auch der Zeitpunkt, zu dem die Beteiligten in alle Himmelsrichtungen auseinanderströmen. Ab da beginnt aber auch noch ein ganz wichtiger und umfangreicher Teil der Arbeit – die redaktionelle Nachbetreuung. Layouten, Korrektur lesen, die Daten auf Druckfähigkeit überprüfen, Fehler beseitigen, die redaktionellen Seiten (Vorworte, Inhaltsverzeichnis, Covergalerie, Interview) erstellen, sich um die Anzeigenkunden kümmern, Preisangebote bei Druckereien einholen u.s.w.).
Ende September 2010 war das weitestgehend abgeschlossen und man hätte in Druck gehen können. Aber im Wintersemester sind fast alle Teilnehmer des Projekts nicht in Augsburg, da sie sich, gemäß Studienplan im Praxissemester befinden, das außerhalb der Hochschule zu absolvieren ist.
Deshalb habe ich die Veröffentlichung auf den 30. März 2011 gelegt, da dann das neue Sommersemester läuft, die meisten Projektteilnehmer wieder zurück in Augsburg sind und wir gemeinsam die Release-Party feiern können.

2. Das Layout der zweiten Ausgabe wurde von einem Studenten (Dennis Bille) entworfen, während das aktuelle Heft von Ihnen zusammengestellt wurde. Warum dies? War die Zeit zu knapp und kostbar, um diese Aufgabe an Studenten abzugeben? Lernen die Studenten im Verlauf des Studiums das Erstellen eines Layouts?


ML: Typografie und Grafikdesign sind Grundlagenfächer unseres Studiengangs „Kommunikationsdesign“. Die Studierenden sind durchaus in der Lage Layouts zu erstellen.
Das ist also ein zeitliches Problem und auch ein Problem im Zusammenhang mit der Anerkennung von Leistungsnachweisen. Das Studium ist sehr arbeitsintensiv. Es müssen in jedem Semester in diversen Fächern mehrere Leistungsnachweise erbracht und Prüfungen absolviert werden. Die Studierenden teilen sich ihre Zeit sehr genau ein und machen nur die Dinge, für die sie eine Notenanrechnung erhalten können. Das Erstellen der Comics findet innerhalb des von mir angebotenen Unterrichts („Projekt Comicwerkstatt“) statt und nimmt dort auch die gesamte zur Verfügung stehende Zeit in Anspruch – das sind aber nur 6 Unterrichtsstunden pro Woche. Es ist ja nicht so, dass die Studierenden ein Semester lang nur an den Comics arbeiten, sondern sie absolvieren auch viele andere Fächer (z.B. Typografie), mit denen ich nichts zu tun habe.
Dennis Bille studierte noch im Diplomstudiengang (vor der Bolognareform), da gab es im Hauptstudium eine einwöchige Projektprüfung, die auch bei mir abgelegt werden konnte. Dennis fehlte diese Prüfung noch. Deshalb habe ich ihm damals angeboten, er könne das Heftlayout als Prüfungsleistung absolvieren. Das war für beide Seiten ein Gewinn. Innerhalb der neuen Studiengangsstruktur habe ich diese Möglichkeit nicht mehr. Es müsste sich also ein Kollege, der Typografie oder Grafikdesign unterrichtet, bereit erklären, die Layoutarbeit in seinen Unterricht einzubinden und einem Studierenden als Leistungsnachweis anzuerkennen. Das ist nicht in Sicht, weil die Kollegen eigene Projekte verfolgen. Man muss auch sehen, dass viele Studierende während der Semesterferien erst jobben und danach in Urlaub fahren. Also ist es naheliegend selbst die Ärmel hochzukrempeln und das Layout während der Sommerferien zu erstellen.
Kurz gefasst – wer sich die Problematik besser vorstellen möchte, mache bitte folgenden Selbstversuch. Schritt 1: In die Arbeit gehen. Schritt 2: Dort rufen „ich hätte hier etwa 100 Stunden Arbeit, für die es weder Geld noch einen Freizeitausgleich gibt. Wer meldet sich freiwillig?“

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3.  Inwieweit gibt es Vorschriften bei der Erstellung der Comics? Können sich die Studenten völlig austoben, oder lehnen Sie  bestimmte Sachen ab? Welche wären dies beispielsweise?

ML: Prinzipiell sind die Studierenden frei in der Wahl ihrer Inhalte und Bildsprachen. Allerdings muss es einen Bezug zum jeweiligen Heftthema geben. Und ich weise immer wieder darauf hin, dass das Medium Comic ein erzählerisches Medium ist. Es geht also nicht nur um „Augenfutter“, sondern auch um Inhalte. Da es darüber hinaus aber für die Studierenden auch um die Erbringung eines Leistungsnachweises geht, den ich mit einer Note bewerten muss, setze ich zu Semesterbeginn immer ein paar Kriterien fest, anhand derer die entstandene Arbeit bewertet werden kann. Gefordert werden von mir „mindestens fünf Comic-Seiten, die stilistisch keine Brüche aufweisen und innerhalb des jeweils angestrebten Stils als vollständig abgeschlossene Werke erkannt werden können“. Weiterhin „muss es sich um Bildfolgen handeln, die einen eindeutig erzählerischen Charakter aufweisen“. Die Wahl der Technik und des Illustrationsstiles ist dabei völlig frei wählbar. Ebenso ist es jedem freigestellt, ob er sich klassischer Erzählweisen des Comics bedienen möchte oder sich an experimentelle Bildsequenzen heranwagt. Von mir abgelehnt werden rassistische und diskriminierende Inhalte. Im Blick auf eine Veröffentlichung (die nicht in Zusammenhang mit der Notenvergabe steht) ist für mich entscheidend, dass eine gewisses formales und inhaltliches Niveau nicht unterschritten wird und natürlich auch, dass die Arbeit vollständig ist.

4. Wie viele Entwürfe standen für das aktuelle Strichnin-Heft zur Auswahl und wer entscheidet, welche Comics in die Ausgabe kommen? Wird hier bewusst Wert auf Abwechslung gelegt?

ML: Insgesamt gab es außer den Arbeiten, die man im Heft sieht noch weitere 5 nicht veröffentlichte Werke. Diese waren alle zum Stichtag (30. Juli 2010) nicht fertig. Da fehlten eine oder mehrere Seiten, also der Schluss der Story oder die Seiten lagen nur als grobe Bleistiftskizzen – ungetuscht und ohne Text – vor. Oder die Seiten waren zwar fertig, konnten aber nicht vollständig überzeugen. Als Herausgeber trage ich die Verantwortung für die Qualität der Publikation und entscheide somit auch darüber, welche Beiträge ins Heft kommen. Dabei ist Abwechslung kein primäres Entscheidungskriterium. Da die Studierenden relativ frei in der Wahl ihrer Inhalte und der gestalterischen Mittel sind entstehen ganz automatisch stilistisch sehr unterschiedliche Ergebnisse.
Da ich ebenso für die Projektfinanzierung verantwortlich bin, muss ich auch auf die Kosten achten. Deshalb spielt der Heftumfang eine Rolle. Der Umfang von 96 Seiten war bisher finanziell gerade so zu bewältigen. Jede Seite mehr verursacht auch höhere Kosten. Deshalb gilt: Qualität vor Quantität.

5. Ähnlich sieht es mit dem jeweiligen Motto aus (Motto der 3. Ausgabe „Zu spät“). Arbeiten Sie bereits einige Vorschläge aus, über welche dann die Fachklasse entscheiden kann, oder kommen die Vorschläge von den Studenten?

ML: Das Motto gebe ich zu Semesterbeginn vor, denn Einschränkung bedeutet Freiheit. Das klingt seltsam, meine Erfahrung zeigt aber, dass es die Kreativität fördert, wenn man gezwungen ist, ein vorgegebenes Problem zu lösen. Wie das Thema dann interpretiert wird ist aber völlig freigestellt. Das Motto ist also als ein „Auslöser für Denkprozesse“ zu verstehen, die in völlig unterschiedliche Richtungen weisen können. Erwünscht ist, dass die Zeichner eine eigene Haltung zum Thema formulieren, aus einer persönlichen Perspektive heraus Geschichten entwickeln, Klischees meiden.
Die Ideen für die Inhalte der Geschichten kommen also von den Studierenden selbst.

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6. Ein Großteil der Comics im dritten Strichnin verfügt über einen geringen bzw. gar keinen Textanteil. Gibt es diesbezüglich Vorgaben? Ist es nicht viel schwieriger eine Story nur in Form von Bildern ohne erklärenden Text abzuwickeln? Wie wenig Text hält ein Comic aus, ohne die Verbindung zum Leser zu verlieren?

ML: Es gibt keinerlei Vorgaben hinsichtlich der Aufteilung der Mengenverhältnisse von Text und Bild.
Tatsächlich ist der Anteil der textfreien Geschichten in Heft 3 sehr hoch. Und auch die Stories, die derzeit für Heft 4 erarbeitet werden, sind zur Hälfte „ohne Worte“. Warum das so ist? Ich weiß es nicht. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass ich im Unterricht mehrfach anhand kurzer, von mir gescribbelter Bildfolgen, verdeutliche, wie nur mit Körpersprache und Mimik eine Bilderzählung ins Laufen kommen kann. Zu Beginn des Semesters wirken die Figuren der Studierenden oft sehr leblos, agieren wie Roboter, die Bildhintergründe sind austauschbar, tragen wenig zur Vermittlung von Atmosphäre bei, wirken wie gedankenlos platziertes Dekor. Um die Handlung zu verdeutlichen, wird dann oft in Textkästen erklärt, was eigentlich das Bild leisten sollte. Ich möchte, dass die ZeichnerInnen textliche Redundanzen vermeiden, Text und Bild so kombinieren, dass sie eine sich ergänzende Einheit bilden. In einzelnen Sequenzen den Text deshalb zunächst weg zu lassen und zu untersuchen, wie die Bilder selbst zum Sprechen gebracht werden können, ist an dieser Stelle sozusagen „visuelle Forschung“. „Show – don´t tell“ ist die Devise. Es ist tatsächlich schwieriger, nur mit Bildern zu erzählen. Aber wenn man es schafft, hat man viel gelernt über visuelles Storytelling und über die Wirkungskraft von Bildern. Eine andere mögliche Erklärung wäre, dass ich von jedem Teammitglied fordere, dass er/sie den Kern der Erzählung in ein bis zwei Sätzen formulieren kann und mithilfe weniger Schlüsselbilder die Struktur der Geschichte visualisiert. Mit Struktur meine ich die äußeren (Handlung) und inneren (Emotion) Veränderungsprozesse, die die Story prägen. Wenn man auf diese Art das Wesen dessen freigelegt hat, was man eigentlich sagen möchte, braucht es vielleicht nicht mehr so viele Worte. Letzte mögliche Erklärung, für die Wortfreiheit könnte sein, dass ich zu kleinen, überschaubaren Geschichten rate, damit jeder innerhalb des engen Zeitrahmens zu einem Ergebnis kommen kann. Auf die Frage „wie wenig Text hält ein Comic aus, ohne die Verbindung zum Leser zu verlieren?“ würde ich antworten: sehr wenig, wenn die Bilder sprechen. Zwei Beispiele: „Prosopopus“ von Nicolas de Crécy ist ein 95 Seiten dickes Comic-Meisterwerk, vollkommen ohne Worte. Nicht mal Soundwords kommen vor. Dennoch erzählt es spannend eine Geschichte von Liebe, Verrat, Schuld und Sühne. „In meinen Augen“ von Bastien Vivès geht mit den Worten auch sehr sparsam um. Die Geschichte ist komplett aus der subjektiven Sicht einer unsichtbaren Hauptfigur angelegt. Man „hört“ stets nur die Worte einer jungen Frau, die mit dem Erzähler spricht. Also einen „halben Dialog“. Mehr nicht. Aber die Bilder entwickeln eine große Kraft. Über sparsam gesetzte Gesten werden die emotionalen Stationen einer sich anbahnenden Liebesgeschichte visualisiert. Als Leser verliebt man sich gemeinsam mit dem Autor in die rothaarige Frau, spürt die Faszination und gleichzeitig die seltsame Bedrückung, die in dieser Begegnung steckt. Grandios.

Weiter geht es im zweiten Teil des Interviews ...

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Special vom: 21.05.2011
Autor dieses Specials: Christian Recklies
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Einleitung
Prämiertes Gift - Vorwort des Herausgebers
Vorstellung: Fachklasse für Illustration
Vorstellung: Herausgeber Prof. Mike Loos
Interview mit Herausgeber Mike Loos: Teil Zwei
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