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Interview mit Felix Mertikat und Benjamin Schreuder

SteamNoir_Logo

Hallo Felix und Benjamin. Erst einmal Herzlichen Glückwunsch zu Eurer neuen Veröffentlichung. Das Medienecho ist ja ziemlich gewaltig. Hattet Ihr damit gerechnet?
Benjamin: Danke für die Glückwünsche. Vom Medienecho haben wir uns, wie schon bei "Jakob", völlig überraschen lassen. Und auch diesmal ist es sehr motivierend, dass es so viele Interviewanfragen und Rezensionen gibt (ein großes Danke an Filip von Cross Cult für die Pressearbeit!), und sich so viele Menschen da draußen Gedanken über unser Buch machen. Das bedeutet uns viel. Übrigens lesen wir besonders gern die kritischen Besprechungen. Die liefern immer Diskussionsstoff und sind spannende Prüfsteine.

Habt Ihr Euch nach der Preisauszeichnung für Jakob unter Druck gesetzt gefühlt bzw. sogar selber Druck aufgebaut, oder lief die Produktion von Steam Noir ganz entspannt ab?
Benjamin: Ich hab das nie als belastend empfunden und mach mir da generell wenig Gedanken. Die öffentliche Wahrnehmung lässt sich letztlich weder vorhersehen noch lenken. Das ist ein ganz anderer Wirklichkeitsbereich als der Elfenbeinturm, in dem wir an unserem Comic basteln. Hinzu kommt, dass wir ja nicht U2 sind und es ist nicht so ist, dass die ganze Welt unser nächstes Werk herbeifiebert – das schätzen wir auch am Comicsektor in Deutschland: Er ist sehr überschaubar und familiär. Man kennt die Individuen dahinter.

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Das Steam Noir Umfeld ist bereits sehr stark ausgearbeitet. Warum habt ihr die Handlungswelt so detailliert erklärt? Nehmt Ihr Euch dadurch nicht den Raum für neue Ideen?
Felix: An einigen Stellen erwies sich die Welt sogar noch als unausgearbeitet, sodass sich beim Schreiben ad hoc neue Ideen und damit Regeln der Welt ergaben. Dass am Ende so eine komplexe Welt dabei herauskommt, ist also ein schrittweiser Prozess, bei dem man jedes Schräubchen einzeln ansetzt. Im Gegenteil jedoch haben wir das Gefühl, erst durch die genaue Kenntnis der Welt auch gute Geschichten darin ansiedeln zu können.

Geschichten handeln ja von den Konflikten mit und in der Welt. Um solche Konflikte etablieren zu können, müssen wir als Autoren die Figuren und ihre Welt genau kennen.

Benjamin_SchreuderBenjamin, du hast das Autoren-Zepter vor Kurzem abgegeben. Wer ist dein Nachfolger und mit welchen Projekten beschäftigst Du Dich nun?
Benjamin: Der Nachfolger steht fest – und wird sicher bald offiziell vorgestellt.
Ich selbst entwickle weiterhin Geschichten, nur eben in anderen Medien und in einem anderen Rahmen. Ich hab inzwischen einen Fulltimejob und bin als einer der drei Gesellschafter von Zeitland media & games (www.zeitland.com) mitten im Firmenaufbau. Dort machen wir Auftragsarbeiten u.a. für die Ravensburger tiptoi-Serie und Werbefirmen, produzieren aber auch eigene Videospiele oder aktuell einen interaktiven, spielbaren iPad-Roman in einem Science Fiction-Setting ("Mars"). An Wochenenden und Urlaubstagen tüftle ich immer wieder mal an einer meiner Kinderbuchideen oder arbeite an einem Drehbuch (aktuell am Thriller "Altental"). Dass ich irgendwann mal wieder einen Comic schreiben werde, ist aber absolut nicht ausgeschlossen.

Hat der Autorenwechsel Auswirkungen auf das bisher geplante Storyboard? Bleibt es beim Umfang von vier Ausgaben?
Felix: Die Geschichte hat ihren natürlichen Weg gefunden. Der Wechsel hat dazu geführt, dass sich die Story neue Wege erschlossen hat und eine neue Dynamik daraus entsteht. Um deine Frage zu beantworten: Ja, es hat Auswirkungen. Der Umfang jedoch bleibt erhalten, so weitreichend waren und sind die Änderungen dann doch nicht.

In der Handlung werden die verlorenen Seelen als Opfer dargestellt und wirken dadurch sogar bemitleidenswert. Warum habt Ihr Euch für diese Außendarstellung entschieden, und die Seelen nicht per se als böse und gefährlich abgestempelt?
Benjamin: Es wäre schlicht langweilig, wenn die Seelen "böse" wären. Und was heißt denn schon „böse“? Sobald man sich mit den Motivationen von Figuren auseinandersetzt und sich generell mit Psychologie – und eben auch der Psychologie der Menschen im realen Leben – beschäftigt, erledigt sich „Gut“ oder „Böse“ recht schnell. Felix und ich mögen die Grauzonen. Wir zweifeln gern bestehende Erzählmuster (v.a. von Blockbustern) an und suchen neue, lebendigere, authentischere Formen. Nichts finden wir unfreiwillig komischer als Figuren, die z.B. einfach nur nach Macht streben oder andere Figuren unterdrücken, weil sie Lust am Unterdrücken haben. Ein Werk wie beispielsweise „Der Herr der Ringe“ ist dort am schwächsten, wo es auf solche Muster hereinfällt. Das wird dann immer schnell mal Kasperle-Theater in großem Stil.

Die Story verfügt über einen versteckten Humor, der besonders beim Kalendarischen Orden offenbar wird. Inwieweit ist es Euch Lerchenwald_und_Hirschmannwichtig, dass die Story keine reine Kriminalgeschichte ist, sondern auch über sonderbare, teils lachhafte Figuren verfügt?
Benjamin: Das ist eine hochspannende Frage, die wir so noch nicht gestellt bekommen haben.
Da kann ich gleich an meine letzte Antwort anschließen. Und auch Figuren, die nur ernst sind oder vom Autor völlig ernstgenommen werden gibt´ wie Sand am Meer – und "typische" Kriminalgeschichten ebenfalls. Sowas funktioniert für uns aber überhaupt nicht. Wir wollten einen Mehrwert schaffen für den Leser und über Genre-Grenzen hinausgehen. Und gerade Figuren werden dort spannend, wo sie "atypisch" sind, wo sich Risse auftun, wo das Selbstbild einer Figur mit der Außenwahrnehmung kollidiert. Wir mögen auch die Grauzone, wo sich Humor und Ernst kaum mehr trennen lassen. Als Leser bleibt einem an solchen Stellen oft das Lachen im Halse stecken und man fängt plötzlich an, sich eigene Gedanken zu machen. Frau D. beispielsweise ist so eine Figur, die mit ihrer messerscharfer Beobachtungsgabe und ihrem rhetorischem Scharfsinn stets ihre Finger in die Wunde Anderer legt. Man kann sich da fragen, ob sie wirklich so ein kaltes Herz hat oder einfach nur den perfekten Selbstschutz gefunden hat: Vielleicht trägt sie tief in sich ein großes, aber eben gekränktes Herz und fürchtet sich aber davor, es offen zu zeigen.

Man darf da auf die nächsten "Kupferherz"-Bände gespannt sein.

Habt Ihr Euch bereits Gedanken über eine internationale Veröffentlichung von Steam Noir gemacht? Welcher Markt bietet sich Eurer Meinung nach dafür an?
Felix: Es sind ja weniger unsere Planungen, als das Interesse ausländischer Verlage, das dafür sorgen wird, das Buch vielleicht eines Tages einmal auf Ungarisch oder Spanisch lesen zu können. Die Hoffnung wäre, dass sich der französische sowie der amerikanische Markt für Steam Noir interessieren wird.

Steam Noir wurde vorab in der monatlichen Zeitschrift Comix veröffentlicht. Wie kam es zu diesem Deal, was versprecht Ihr Euch davon und welches Resümee zieht Ihr?
Benjamin: Martin Jurgeit von der Comix war sehr begeistert von "Jakob" und auch von unseren ersten "Steam Noir"-Skizzen, die wir auf der Frankfurter Buchmesse 2010 dabei hatten. Alles Weitere hat sich dann automatisch ergeben. Die Vorabdrucke waren letztlich für alle eine Win-Win-Situation. Ein interessanter Nebeneffekt der Veröffentlichungen war, dass wir unsere Comicsseiten schon früh in Druckform sehen konnten. So konnten wir uns frühzeitig selbst prüfen und auch Feedback einholen. Wer den finalen „Kupferherz“-Band und die Comix-Vorabdrucke vergleicht, wird hier und da noch kleine Verbesserungen entdecken, und kann letztlich unseren Arbeitsprozess nachvollziehn.

Felix_mertikatFelix, Steam Noir glänzt durch viele großformatige Zeichnungen mit einer intensiven Colorierung. Wie groß war der Zeitumfang für die erste Ausgabe und woher holst Du Dir die Inspiration für die teils abstrakten Zeichnungen? Wie viele Entwürfe hast Du zum Thema „Verzerrung“ angefertigt?
Felix: Gebraucht hat die Arbeit etwa 6 Monate, wobei das Tuschen deutlich leichter von der Hand ging als die Kolorierung. Das mit der Inspiration ist eine gute Frage ... mhm ... ich denke da bin ich wohl irgendwie beeinflusst von Sergio Toppi, Thomas von Kummant und Mike Mignola, sowie von einigen anderen Künstlern, die den Sprung über den Panelrand schaffen. Das Abstrakte selbst ist dabei wieder ein Prozess, der sich mit Skizze um Skizze verfeinert. In der ursprünglichen Fassung war ich noch viel freier, habe aber dem Medium und der Atmosphäre zuliebe etwas abgebremst. Die Verzerrung war tatsächlich heikel, sodass dazu ein ganzer Berg an Ideen angewachsen ist, aber auch viele Textideen und SMS zwischen Benjamin und mir waren Teil der Entwicklung.

Die Panelumrandungen sind mir sofort aufgefallen. Diese haben beinah Entwurfscharakter und geben den Zeichnungen eine gewisse Eigenständigkeit, was durch die fetten Inks noch verstärkt wird. Felix, warum hast Du Dich gegen klare gerade Umrandungen entschieden und stattdessen die stark verschachtelte und einzigartige Darstellung gewählt?
Felix:
Durch die Verschachtelung und Überlappung der Panels entsteht eine dritte, tiefere Ebene, auf der ich erzählen kann. Dabei nimmt der Betrachter an, dass ein weiter nach hinten gestelltes Panel später gelesen werden muss, auch wenn es in der Reihenfolge früher käme. Man kann auf die Weise Parallelmontagen erzählen und dem Betrachter anzeigen, wie wichtig ein Panelausschnitt ist. Das Aussehen der Panelrahmen ergibt einen eigenen Charakter der Seite, sodass die Gesamtseite auch als Gesamtwerk betrachtet werden kann. Ich mag die Idee der verschiedenen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten im Comic, auf die der Film etwa verzichten muss.  

Die Vorlage für Steam Noir bildet das Spiel „Opus Anima“. Inwieweit habt Ihr die Basisstory des Games für Steam Noir abgeändert? Wird das Spiel momentan noch weiter entwickelt?
Felix:
Irgendwann waren wir an den Punkt gekommen, an dem wir Opus Anima so stark verändern mussten, dass wir ein neues „System“ in den Händen hielten. Das war der Punkt, an dem wir einen neuen Namen gegeben haben und auch die letzten deutlichen Verbindungen gekappt haben. So konnten wir OA so sein lassen, wie es war und mit Steam Noir die letzten nötigen Schritte zu gehen, die es brauchte, um einen funktionierenden Comic daraus zu stricken. Ob und wie an Opus Anima weitergearbeitet wird, kann ich derzeit nicht beantworten. Sollte sich was tun, gebe ich euch als Erste Bescheid ;)

Zum Abschluss noch eine kleine Insiderfrage: Warum schlägt Herr Lerchenwald Besucher seiner Wohnung immer mit einem Buch? Woher kommt dieser Tick und was hat er zu bedeuten? Darüber hinaus bedanke ich mich für die Beantwortung der Fragen und wünsche weiterhin viel Erfolg mit Euren Veröffentlichungen.
Benjamin:
Wir haben zu danken. Toll, dass du dich so tief aufs „Kupferherz“ eingelassen hast.
Und zu deiner Frage: Heinrich Lerchenwald ist schlicht und ergreifend ein kurioser Kerl. Ich mein, er hat diese ganzen verschrobenen Apparaturen auf dem Dach installiert, in seiner Wohnung „nichts als Staub und Teekräuter“ (wie der Kalendarische Orden feststellt) und statt seine zerbrochene Tür reparieren zu lassen, lässt er sie einfach liegen und klettert umständlich aus seiner Wohnung raus und zurück. Und zu der Sache mit dem Buch: Er hat´s wahrscheinlich nicht so mit richtigen, „männlichen“ Waffen. Er könnte sich genausogut mit einem Blumentopf verteidigen oder mit einem Spiegel. Dass er aber ausgerechnet zum Buch greift, macht ihn zum perfekten Don Quichotte unserer Steam Noir-Galaxie. Und deshalb lieben wir ihn so!
Felix: Vielen Dank auch von mir! 

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Special vom: 22.11.2011
Autor dieses Specials: Christian Recklies
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Einführung in die Figuren
Die Entstehung der Figuren
Die Entstehung der Welt
Comicademy Scribble Club mit Felix Mertikat - Das Video
Felix Mertikat erklärt die Entstehung von Steam Noir
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