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Leben und Werk, Teil 2
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Einen weiteren Höhepunkt in seinem Werk bildet das 1992 entstandene "Aruku Hito" (deutsch als "Der spazierende Mann"). In dieser Sammlung von Kurzgeschichten passiert nicht mehr als dass ein Mann durch eine Stadt spaziert. Der Mann ist mit seiner Frau in die Vorstadt gezogen, und will nun seine neue Nachbarschaft kennenlernen. Weder der Name der Stadt noch der des Mannes werden je genannt. Die Situationen, auf die der Mann und der Hund, den die Familie nach einiger Zeit adoptiert, auf ihren Spaziergängen stoßen, sind einerseits typisch japanische und zeigen, wie stark Taniguchi trotz aller westlichen Einflüsse noch in seiner Kultur verwurzelt ist.

Auf der anderen Seite tritt hier ein weiteres Merkmal seiner Arbeiten deutlich zu Tage. Taniguchi konzentriert sich auf das, was man die "Poesie des Alltags" nennen könnte. Seine Charaktere erleben keine großartigen Abenteuer, oft reicht wie gesagt ein Spaziergang durch die Nachbarschaft aus. Klaus Schikowski bringt es im Vorwort zu "Vertraute Fremde" ein weiteres Meisterwerk Taniguchis, auf den Punkt: "Seine Geschichten sind zärtliche Annäherungen an das Alltägliche und sie sind geprägt von Momenten des Innehaltens und Durchatmens". Es zeugt von der Meisterschaft des Zeichners, dass seine Geschichten trotz des vermeintlich wenig ergiebigen Settings von Langeweile weit entfernt sind. Und das Schicksal, durch das er seine Figuren schickt, ist auch längst nicht immer so erholsam wie ein Spaziergang. Im Gegenteil, oft mutet er seinen Charakteren Extreme zu wie im fünfbändigen Bergsteigerdrama "Kamigami no Itadaki" (deutsch als "Gipfel der Götter"), in "Sosakusha" (deutsch als "Die Stadt und das Mädchen") oder in "Toudo no Tabibito" (deutsch als "Der Wanderer im Eis").

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Als weiterer großer Einfluss auf Taniguchis Werk werden oft die Gekiga genannt. Diese Strömung des japanischen Comics entstand als eine Art Gegenbewegung zum von Osamu Tezuka geprägten Mainstream-Manga. Der auch "Gott des Manga" genannte Tezuka ist unter anderem der Schöpfer von Astro Boy oder Kimba. Seine Werke richteten sich vor allem an ein junges Publikum, was sich auch inhaltlich bemerkbar machten. Andere Künstler, allen voran Yoshihiro Tatsumi, wollten Geschichten erzählen, die näher an der Wirklichkeit sind. Ihre Comics richteten sich an erwachsene Leser, der Antrieb der Charaktere kam aus ihrem Innenleben und oft standen die Verlierer der Gesellschaft im Fokus. Ein Kulminationspunkt dieser Gekiga (übersetzt etwa "dramatische Bilder") war das Magazin "Garo". Ursprünglich bezog sich der Begriff nur auf Veröffentlichungen im Garo, ab etwa den 1970ern wurden mehr und mehr allgemein "Comics für Erwachsene" als Gekiga bezeichnet. Taniguchi sagte einmal in einem Interview, er würde Gekiga machen. Allerdings stehen bei ihm im Gegensatz zu den Geschichten im Garo nicht die Schattenseiten des Lebens im Zentrum, seine Figuren haben stets Optimismus und Zuversicht.

Was die europäische Perzeption von Taniguchis Werk betrifft, sind uns die Franzosen wieder einmal voraus. Dort erschienen die ersten seiner Comics bereits Anfang der 1990er Jahre. Sein Interesse an französischen Comics hatte den Zeichner mit Frédéric Boilet zusammengebracht. Der prägte nicht nur den Begriff des "Nouvelle Manga" in Anlehnung zum Film des Nouvelle Vague, sondern bearbeitete auch die französischen Ausgaben verschiedener Taniguchi-Comics. 2000 konnte Taniguchi mit seinem Idol Moebius zusammenarbeiten, nach dessen Szenario "Ikaru" entstand.

In Deutschland dauerte es noch bis 2006, bis mit "Der Wanderer im Eis" das erste Werk des Künstlers. 2007 wurde "Vertraute Fremde" als "Comic des Jahres" ausgezeichnet, 2008 folgte der Max- und Moritzpreis für denselben Titel. Seither haben die Verlage Schreiber & Leser und Carlsen Comics zusammen bislang 14 Comics von Jiro Taniguchi herausgebracht, aus den über 40 seines Werks insgesamt. Es erwartet seine hiesigen Fans also noch so einiges.
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Special vom: 16.12.2012
Autor dieses Specials: Henning Kockerbeck
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Leben und Werk, Teil 1
Taniguchi auf Deutsch
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