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Abenteuer und Poesie: Theodor Pussel als Gesamtausgabe
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Frank_Le_GallDer Comicautor Frank Le Gall hat mit Théodore Poussin ein Meisterwerk des franko-belgischen Abenteuercomics geschaffen. Die Ehapa Comic Collection bewirbt ihre dreiteilige Gesamtausgabe mit dem Slogan „Corto Maltese trifft auf Tim und Struppi“. Hat der Verlag mit diesem Vergleich Recht? Und was macht Theodore Poussin überhaupt zum Klassiker?

Le Gall trieb Anfang der 1980er Jahre das starke Bedürfnis um, nicht den ästhetischen Konventionen der düsteren Erwachsenencomics zu folgen. Hinzu kommt, dass der Franzose stark von der Literatur von Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts beeinflusst war. Diese beiden Komponenten und „eine Riesenlust auf Räume, Lichter und ferne Landschaften“ führten schließlich zu Théodore Poussin. Dieses Fernweh kennt man bereits von Hugo Pratts Klassiker Corto Maltese. Darin zieht es den titelgebenden Matrosen in verschiedene Winkel der Erde, wobei der Held stets zwischen Realität und Fiktion oszillierend das 20. Jahrhundert als ein großes (Verwirr-)Spiel erlebt.

Abenteuer und Poesie

All jene Zutaten können auf Théodore Poussin übertragen werden. Der Unterschied zu Corto Maltese ist neben der grafischen Ausrichtung – Pratt pflegte einen expressionistischen Strich – eine inhaltliche Bodenständigkeit. Le Gall verlässt die Realität nie ganz – die Rätsel und Mythen werden im Deutsches_CoverGegensatz zu Corto Maltese aufgelöst. Dadurch wirkt Théodore Poussin spröder und linearer: eine Art Corto Maltese Light.
Die Geschichte beginnt 1927: Der Titelheld arbeitet für ein Frachtbüro einer großen Schifffahrtsgesellschaft in Dünkirchen. All die Seefrachtbriefe und exotischen Ländernamen wecken in dem jungen Mann eine unstillbare Sehnsucht, der er sich schließlich beugt undnach Indochina reist. Dort will er in den totgeglaubten Onkel Kapitän Stien aufspüren.
Die Serie spielt in Ostasien und endet 1933. Der Titelheld gerät durch das Treiben von Herrn November, seinem düsteren „Schatten“, in einen Strudel von Mord, Revolution, und Kolonialpolitik. Pussel begegnet auf seinen vordergründig linearen Seefahrtabenteuern, die sich jedoch als tiefenpsychologische Parabeln über das menschliche Wesen lesen lassen, Piraten, Opiumsüchtigen und Radschas. Und das Fernweh wandelt sich in ein Heimweh.

Allzu menschliche Charaktere

In der Serie erlebt der Leser eine Wandlung des unbescholtenen Zahlmeisters in einen hemdsärmeligen Kapitän, der damit hadert, dass um ihn Menschen sterben. Im Gegensatz zu Maltese wirkt der eierköpfige und rundbebrillte Pussel weniger zynisch und passiv, sondern entscheidungsfreudig und spröde.
Der undurchschaubare, lang- und dunkelhaarige Herr November erinnert ein wenig an Rasputin aus Corto Maltese: Held und Weggefährte bilden jeweils eine Seite einer Medaille ab, sie sind durch ein unsichtbares Band verbunden. Die Beziehung ist durch eine Art Hassliebe geprägt. Der Leser weiß nie, ob sich die beiden im nächsten Moment umbringen oder helfen wollen.
Frauen existieren zunächst nur in Gestalt von Pussels Mutter und Schwester, die voller Sorge in Dünkirchen verbleiben. Und auch sonst trifft der kahle „Eierkopf“ kaum auf Frauen – und wenn doch, wartet Pussel vorsichtig ab oder tritt in eine eher kameradschaftliche Beziehung. Während bei Corto Maltese auch die Liebe wie ein Spiel oder Tanz inszeniert wird, erhält sie bei Théodore Poussin den Zug einer Prüfung.
In den ersten fünf Bänden geht Le Gall auf einer Meta-Ebene der Frage nach „Existiere ich?“. Ab dem sechsten Band wandelt sich die Fragestellung dann zu „Wer bin ich?“. Die Leser erleben einen Helden-im-Werden, eine Figur, die ihre Identität sucht, bevor sie sich letztlich entscheidet, wohin sie geht.

Herr_November

Weiter geht es in ZACK # 167.

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Special vom: 26.04.2013
Autor dieses Specials: Marco Behringer
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F. W. Tempel
Das Allerletzte
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