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Die Rückkehr der ZACK-Piraten
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Mit Der rote Korsar erscheint ab Herbst nach Capitan Terror die zweite realistische Piratenserie aus dem klassischen ZACK in einer Gesamtausgabe. Ein guter Anlass für eine Betrachtung des Genres und speziell dieser beiden Serien.

Den Anfang macht Ulrich Stampa mit einer Untersuchung des Phänomens „Piraten“ und seiner bekanntesten Vertreter:

pirat1Was macht Piraten so faszinierend?
Schließlich ist ein Pirat gemeinhin ein Verbrecher! Und ein Verbrecher als Protagonist einer Abenteuergeschichte ist eher – aha! – eine Art Anti-Held!
Als Charakter ist er jedenfalls vielschichtiger als ein Held mit reiner Weste. Darum sind z. B. Han Solo oder Captain Jack Sparrow interessanter als Luke Skywalker oder Will Turner.
In einem Verbrecher als Protagonist können uns beispielsweise gewisse negative Impulse vor Augen geführt werden, die man in sich trägt, aber sich selbst vielleicht eher ungern eingesteht – wie die geheime Befriedigung, mit irgendwas davongekommen zu sein (womit auch immer), oder Neid, Begierde und Vergleichbares.
Auch bestimmte neutral besetzte Situationen wie das Risiko der Entdeckung, oder Verfolgung und Umzingelung durch andere Menschen oder das beklemmende Gefühl, einen schweren Fehler begangen zu haben, können wir vielleicht nachvollziehen.
Und selbst in einem Verbrecher können positive Eigenschaften wie Einfallsreichtum sogar in extremen Stresssituationen, Risikobereitschaft, Entschlusskraft, Durchhaltevermögen, Hilfsbereitschaft, Pflichtgefühl und Mut unsere Bewunderung wecken oder uns zumindest Respekt abzollen (1).
Eine Identifikationsmöglichkeit bietet uns vielleicht auch ein Wertesystem, das wir akzeptieren können (z. B. Gut und Böse zu unterscheiden wissen, ggf. unter individuellen Maßstäben).
Ein Verbrecher kann sogar das Konzept einer außergesellschaftlichen, ausgleichenden Gerechtigkeit repräsentieren, besonders dann, wenn das offizielle Justizsystem das in Teilen der Gesellschaft innewohnende Verständnis von Gerechtigkeit nicht wiedergibt (2). Aus diesem Grund war auch Robin Hood immer schon eine politische Figur.pirat2
Es ist eine Frage der Sichtweise: In einem Helden, der Illegales tut, sehen wir einen Guten, sofern sein Gegenspieler in unseren Augen einfach schlecht ist, d. h. negativ dargestellt wird. Es kann ausreichen, eine herrschende Gesellschaft als korrupt darzustellen, um so Grauwerte zu schaffen und das Handeln eines Verbrechers zumindest teilweise zu legitimieren oder relativieren.
Piraten spielen in der Regel eine gesellschaftliche Außenseiterrolle. Der Außenseiter, der Underdog hat schon immer eine ganz eigene Faszination ausgeübt.
Und last but not least: Das – romantisch verklärte – Piratendasein versinnbildlicht auch einen Ausbruch aus dem Korsett der Gesellschaft, eine Art von Rebellion und ein Leben in Freiheit. Laut Robert Bohn ist in unserer zunehmend industrialisierten Zeit der „edle Freibeuter“ wegen seiner Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen „die Gegenfigur des Arbeiters und Bourgeois und erst recht des Spießers“ (3).

Ein kurzer Blick auf die historische Wirklichkeit:
Im 17. Jahrhundert standen sich die protestantischen Briten und die katholischen Spanier – und ihre jeweiligen Bündnisgenossen – verfeindet gegenüber. Die Spanier hatten sich im 16. Jahrhundert in Mittel- und Südamerika ausgebreitet, eigneten sich rücksichtslos die dortigen Reichtümer an und fuhren sie nach Europa aus. Dies wurde ihnen von den Anderen geneidet. Es wurde daher von den jeweiligen Regierungen als legitim betrachtet, einander auf dem Meer als rechtsfreiem Raum Schaden zuzufügen. Und dabei war es viel praktischer und rentabler, sogenannte Freibeuter mit Kaperbriefen zu Überfällen zu berechtigen, als in der Karibik eine eigene offizielle Flotte zu unterhalten. Und dann gab es in diesem rechtsfreien Raum auch noch viel Platz für „Selbstständige“.
In der damaligen, feudalistisch geprägten Zeit waren die Unterschiede zwischen Arm und Reich enorm ... der Begriff „soziale Gerechtigkeit“ lag noch in ferner Zukunft.
Falken_der_MeereDie Piraterie (bzw. das Banditentum allgemein) war damals im Prinzip die einzige Möglichkeit, eine demokratische, klassenlose Gesellschaftsform zu leben. Nur Piraten bzw. Banditen konnten ihre Anführer selbst wählen, und diese mussten sich dann auch Kritik gefallen lassen und Mehrheitsentscheidungen beugen, sonst wurden sie abgesetzt. Unumschränkte Autorität hatte ein Piratenkapitän nur während einer unmittelbaren Schlacht. Diese Art von Demokratie machte keine Rassenunterschiede, weshalb ein Andersfarbiger in der „Piratengesellschaft“ schon damals eine gehobene Position erlangen konnte.
Der edelmütige Pirat ist allerdings eine reine Erfindung. Ein Pirat war gemeinhin ein Verzweifelter (span. „Desperado“), der von Heute auf Morgen lebte und erbeutetes Vermögen sofort verprasste, weil ihm das Übermorgen sehr wahrscheinlich keine Gelegenheit mehr dazu gab – weshalb verborgene Piratenschätze auch der romantischen Fantasie entspringen.

Dennoch oder grade deshalb haben es Piraten schon häufig zu Protagonisten in Abenteuergeschichten gebracht:
Die wohl bekanntesten Romane über Piraten sind R. L. Stevensons Die Schatzinsel (1881), Emilio Salgaris Il Corsaro Nero (1898) sowie Rafael Sabatinis Captain Blood (1922).
Und Captain Jack Sparrows (Fluch der Karibik, 2004) berühmteste Kinopiraten-Vorgänger sind Douglas Fairbanks‘ Schwarzer Pirat in The Black Pirate (1926), Errol Flynns Captain Blood in Unter Piratenflagge (1936), Robert Newtons Long John Silver in Disneys Die Schatzinsel (1950) und Burt Lancasters Captain Vallo in Der rote Korsar (1952).
Eine kurze Typologie: Der primär rechtschaffene Held, der unfreiwillig in ein verbrecherisches Umfeld gerät, ist grundsätzlich ein interessantes Sujet. Die Identifikationsträger dieser Stoffe haben daher, wenn sie Piraten sind, die Verbrecherlaufbahn meist unfreiwillig eingeschlagen – wie Peter Blood. Oder es sind rechtschaffene Personen, die in Piratengesellschaft geraten sind, wodurch die Piraten sekundäre Protagonisten mit durchaus zwiespältiger Haltung oder von vornherein Gegenspieler sind – z. B. Jim Hawkins mit Silver als Widerpart. Als spannend kann sich zum Beispiel die Frage erweisen, ob es dem Helden in diesem Milieu gelingt, seinen Prinzipien treu zu bleiben, ohne dadurch sein Leben zu verlieren.zack_cover
Der Pirat kann aber auch als Träger schon beschriebener, seine „Berufswahl“ aufwiegender positiver Eigenschaften ein „good bad guy“ sein – wie Captain Vallo oder sein legitimer Nachfolger Captain Jack Sparrow. Mischformen des Vorgenannten sind möglich.
Verbrecherisches Tun ist eher selten Hauptgegenstand der Handlung, es sei denn, dies wird dem Helden konfliktträchtig aufgezwungen – oder die „Opfer“ sind beispielsweise (wie schon geschildert) selbst Verbrecher, die sich ihrerseits an Rechtschaffenen bereichern.
Oft handelt es sich um „neutrale“ Abenteuer, wie Schatzsuchen oder Rettungsaktionen. Auch die Läuterung eines Verbrechers kann ein Thema der Handlung sein.
Aber genug damit – dies alles soll nur grob umrissen sein.

Auch in den Comics gehen Piraten, Bukaniere, Flibustiere, Korsaren und Konsorten auf Kaperfahrt. Ein herausragendes frühes Beispiel ist Will Eisners The Flame/Hawks of the Seas (1936), dessen Held vornehmlich Sklavenhändler bekämpft.
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt in den amerikanischen Comic Books die Darstellung von Gewalt und Verbrechen immer mehr zu (4). So zählen zu den „crime-oriented comics“ denn auch Piratencomics, die im gleichen Ton wie die urbanen Thriller verbrecherische Aktivitäten schildern. Die ausufernde epische, auch glorifizierende Darstellung gewalttätiger krimineller Aktionen (wenn auch teils im Gewand vorgeblicher Abschreckung) bringt die US-Zensurwächter vollends auf die Barrikaden und mündet 1954 in der Schaffung des Comics Code.
In Europa treiben Piraten ihr Unwesen in Werken wie Corsaire des Îles (1941), Capitan Sparviero (1945), El Diablo de los Mares (1947), Capitaine Cormoran (1948) und natürlich Brik (1948). Keinesfalls vergessen werden darf Luciano Bottaros Pepito (1954)! Comic Adaptionen von Salgaris Corsaro Nero gibt es seit 1946 und überdies ungezählte der Schatzinsel. Seit 1959 macht Barbe-Rouge alias Der Rote Korsar die Meere unsicher und Capitan Terror ab 1972 – um die es gleich detaillierter geht. Viele, viele andere gesellen sich dazu.


The_Black_Buccaneer_von_Jack_Curtiss


Und heute? Im Kino bleibt der Fluch der Karibik (mit seinen Fortsetzungen) bislang ein Alleinsegler, doch in in den Comics hat sich eine stattliche Flotte angesammelt.
Es ist bemerkenswert, wie viele Piratenstoffe im Comicbereich zur Zeit entstehen. Ein Blick auf die Seite www.pirates-corsaires.com und ihre Auflistung von Piratencomics zeigt, dass allein auf dem französischsprachigen Markt seit dem Jahr 2000 mindestens so viele, wenn nicht mehr neue Piraten-Serien und -Einzelalben erschienen sind als in den sechzig Jahren davor zusammen (5)! Vor allem die zweite Hälfte der 2000er-Jahre war äußerst fruchtbar. Augenscheinlich hat der weltweite Erfolg von Captain Jack Sparrows Abenteuern hier als Geburtshelfer gewirkt.
Neben den Abenteuern des – wie Jim Hawkins – zufällig unter die Piraten geratenen Pittje Pit, die derzeit zwar nicht als GA, aber dennoch komplett bei Epsilongrafix erscheinen, erleben wir nun die Wiederkehr zwei weiterer ZACK-Piraten in Gesamtausgaben mit Bonusmaterial. Beide Serien sollen jetzt unter die Lupe genommen werden, auch in Bezug auf „Piraten-Typisches“.
Also: alle Mann an Bord!

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Special vom: 24.09.2013
Autor dieses Specials: Peter Wiechmann und Ulrich Stampa
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F. W. Tempel
Besser spät als nie! Das Label Egmont Graphic Novel kommt
Das Allerletzte
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