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Besser spät als nie! Das Label Egmont Graphic Novel kommt
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egn_1Was haben die Bahn und das Egmont Graphic Novel-Label gemeinsam? Richtig, sie sind zu spät. Böse Zungen behaupten: Es ist wie gehabt – Egmont hat einen Trend verschlafen und nutzt nun die jahrelange Aufbauarbeit anderer Verlage, um doch noch einen Stück vom Kuchen abzubekommen. Als Egmont noch Ehapa hieß, waren es Buchhandelsalben (1980er) und Mangas (1990er), jetzt sind es eben Graphic Novels, denen ab Oktober mit „Egmont Graphic Novel“ ein eigenes Label eingeräumt wird. Auf der anderen Seite muss man allerdings berücksichtigen, dass die Mühlen bei Großverlagen nun einmal langsamer mahlen. Risiken werden genau abgewogen, und es dauert seine Zeit, bis eine Maschinerie wie Egmont zur Tat schreitet.

Warum kommt das Label erst jetzt? Die Frage ist berechtigt. Der Konkurrent Carlsen hat entsprechende Comics schon in den 2000er Jahren mit dem Begriff etikettiert und diesen (gemeinsam mit Reprodukt und anderen Verlagen) im Medienbereich gefördert. Und es ist ja nicht so, dass in der ehemaligen Ehapa Comic Collection gar keine GN-Titel im Programm veröffentlicht wurden. 2005 erschienen in der ECC beispielsweise Titel wie Auschwitz oder Yossel, die formal und inhaltlich den gängigen GN-Kriterien entsprechen, also in einem Buchformat erscheinen und literarische, historische oder biographische Themen beinhalten.
Zurück in der Gegenwart erweist sich bereits das stilvoll gestaltete Labellogo als aussagekräftig: Eine Sprechblase mit der Inschrift „graphic novel“ wird von einem abstrakten Kopf in Seitenansicht umschlossen und vom Verlagsnamen „Egmont“ unterschrieben. Die Aussage liegt auf der Hand: Das Motiv soll die Abkehr vom „Kinder- und Jugendkram“-Image des Comics hin zur Seriosität der GN hervorheben. Diese Intellektualisierung (oder hier auch passend: Verkopfung) wirkt durchaus einprägsam und besticht tatsächlich durch einen hohen Wiedererkennungswert.

egn_2Der Dritte im Bunde
Eine entscheidende Frage ist: Warum braucht es überhaupt ein eigenes Label für Graphic Novels bei Egmont? Führt das Label tatsächlich zur Generierung von neuen Lesern?
Oder vielmehr zu einer weiteren Vertiefung der inhaltlichen Spaltung von „konventionellen“ Comics und Graphic Novels? Hätte man die GN-Titel – abgesehen von durchaus sinnvollen konzerninternen Zuteilungen – nicht besser im Programm bestehender Egmont-Labels publizieren können? Es gibt schließlich mit „Egmont Manga“ und „Egmont Comic Collection“ bereits zwei Verlagslabels, wodurch ein weiteres Label zu mehr Unübersichtlichkeit und unnötiger Abgrenzung führt. Oder stellt die Labelgründung nichts weiter als eine groß angelegte Marketingstrategie dar, die möglichst viel Medienaufmerksamkeit erzeugen soll? Begleitet wird die Labelgründung immerhin von einem GN-Event auf der Frankfurter Buchmesse, einem eigenen Social Media-Auftritt und einer ausführlichen Berichterstattung durch die Presse. Egmont-Verlegerin Alexandra Germann betont die Motivation, neue Kunden im Buchhandel gewinnen zu wollen. Um diese neuen Leser, aber auch Buchhändler, für anspruchsvolle – literarische oder sachthemenbezogene – Comics zu gewinnen, eignen sich GN nach Germann formal und inhaltlich bestens, da diese eine comicspezifische Selbstreflexivität vermeiden. Allein der seriös klingende Begriff und das vertraute buchidentische Format löst nach Germann bereits bestehende Anti-Comicschranken in Luft auf. Langjährige Comicleser kennen durchaus die Welt der zahllosen Verweise auf andere Bände einer Serie via Fußnoten oder die Überschneidung von „Universen“ verschiedener Serien. Jedoch erscheint bei EGN mit Die Ignoranten – Wenn Wein und Comic sich begegnen von Étienne Davodeau just eine GN, die davon handelt, dass ein Comiczeichner einem Weinbauer die Welt der Sprechblasen vermittelt und umgekehrt, der Weinbauer dem Comiczeichner in die Kultivierung von Wein einführt. Eine GN, in der das Comiczeichnen thematisiert wird, ist demnach ebenso selbstreferentiell, jedoch in medienreflexiver Art und nicht in inhaltlicher Weise, wodurch tatsächlich keine Vorkenntnisse anderer GN oder Spezialwissen benötigt werden. Insofern ist diese Trennung durchaus sinnvoll, da viele Albenserien tatsächlich ein Vorwissen erfordern.

egn_3Die Brücke
Soweit zu den allgemeinen Diskussionspunkten zum Thema EGN. Aber schauen wir uns doch einmal die Titel im Einzelnen an. Zunächst stößt man als ECC-Leser bei den sieben Starttiteln auf einen alten Bekannten: Miguelanxo Prado. Zuletzt wurde der Galizier mit einer GA (Gesamtausgabe, noch eine dieser verhassten Abkürzungen, aber wir leben schließlich im Zeitalter der Effizienz!) von Der tägliche Wahn bedacht. In den 1990er Jahren erschienen in der ECC zahlreiche Prado-Einzelbände. Nun startet die EGN ihr Programm bezeichnenderweise mit einem Comicautor, dessen mit Kreide gemalten Arbeiten schon immer anspruchsvoll waren, aber nun auch mit „Graphic Novel“ bepflastert werden. Der Patient hört auf den Namen Ardalén und weist das Symptom auf, ein Comic zu sein, dessen Lizenz zwar schon vor der Labelgründung von Egmont erworben wurde, dem aber – Spitz-auf-Knopf – das GN-Gen eingeimpft wurde. Dieses Beispiel verdeutlicht wunderbar, dass schon Autorencomics der ECC anspruchsvoll und/oder künstlerisch ausgerichtet sein konnten.

Ardalén ist an sich wunderschön mit Lesebändchen und makelloser Qualität gestaltet worden. Prado thematisiert darin das Thema „Erinnerung“ in meisterlicher Manier. Er führt den Leser virtuos durch seine Protagonistin Sabela auf Glatteis und entführt ihn in eine surreal erscheinende Welt zwischen Poesie und Realität, Wahn und Wahrheit. Sabela folgt den Spuren ihres verstorbenen Großvaters in ein Dorf, wo sie auf Fidel trifft. Der eigenbrötlerische Träumer lebt in seiner ganz eigenen Welt, stellt aber Sabelas einzigen Zugang zur Vergangenheit dar. Ardalén ist eine wie gewohnt mit bunter Kreide kolorierte Welt, die Prado detailliert entwirft. Den leuchtenden Bildern hält er kapitelweise thematisch ergänzende (und zum Teil fiktive) Artikel, Dokumente oder Lexikoneinträge entgegen, was dem akrobatischen Seiltanz zwischen Wirklichkeit und Fantasie zusätzliche Würze verleiht. Obwohl Ardalén vor dem eigentlichen EGN-Launch veröffentlicht wurde, kann er als eine „Brücken-Publikation“ des Labels betrachtet werden, die als Übergang dient.
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Special vom: 24.09.2013
Autor dieses Specials: Marco Behringer
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F. W. Tempel
Die Rückkehr der ZACK-Piraten
Das Allerletzte
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