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Kapitel 4 - Die letzten Züge des Comics Code
Doch auch die drastischen Veränderungen der Bestimmungen der CCA änderten nichts an der Entwicklung, die längst ins Rollen geraten war. Mehr und mehr Verlage weigerten sich schlichtweg, sich weiterhin einer in ihren Augen überflüssig gewordenen Kontrollinstanz zu unterwerfen und nutzten die Gelegenheit, die sich ihnen in Form des "Direct Market" bot, um sich ganz von der Selbstzensur zu verabschieden.
Der Comics Code verlor mehr und mehr an Bedeutung, was sich auch darin bemerkbar machte, daß das CCA-Siegel im Laufe der Zeit einen immer kleineren Platz auf den Covern der Comics in Anspruch nahm. "Erwachsene" Comics erfreuten sich immer größerer Beliebtheit, Nackheit, Sex, Gewalt und Flucherei wurden beinahe schon alltäglich.

1992 geschah etwas, das diese Entwicklung noch weiter vorantreiben sollte: Eine Handvoll Künstler wie Todd McFarlane, Rob Liefeld, Jim Lee, Erik Larsen, Jim Valentino, Whilce Portacio und Marc Silvestri waren mit ihrer Behandlung - oder, wie sie es sahen, Ausbeutung - durch Marvel alles andere als zufrieden und beschlossen daher, ihren eigenen Verlag zu gründen, um die "Großen" der Branche das Fürchten zu lehren.
Die Besonderheit des "Image"-Verlages lag in erster Linie darin, daß alle Rechte an den entsprechenden Figuren und Serien bei ihren Erfindern blieben und diese an allen Einnahmen beteiligt wurden. Die neuen Serien wie Spawn, Youngblood, WildC.A.T.s, Cyberforce und Savage Dragon verzichteten von vorneherein auf das CCA-Siegel und präsentierten dem Leser Action-Stories, die in Sachen Gewalt nicht sonderlich zurückhaltend waren, auf der anderen Seite jedoch auch nicht selten eine richtige Handlung vermissen ließen und nur auf grafische Effekte abzielten, was unter anderem daran lag, daß die "Autoren" in erster Linie gelernte Zeichner waren (und in einigen Fällen nicht einmal das).

Inzwischen setzte der Comic Book Legal Defense Fund seine Unterstützung von Comichändlern fort, die wegen des Verkaufs von "obszönen" Comics vor Gericht standen. In mehreren Fällen, darunter in Florida und Kalifornien, konnten Freisprüche erzielt werden.

Ein Jahr später starteten weitere Verlage wie Malibu und Dark Horse ihre eigenen Superheldenreihen. Während Malibu später von Marvel aufgekauft wurde, unterwarf sich Dark Horse den Richtlinien der CCA, um sicherzustellen, daß ihre Comics auch weiterhin am Zeitungskiosk erhältlich waren. Dennoch war mittlerweile abzusehen, daß die Herrschaft der CCA über die breite Masse der erscheinenden Comics beendet war. Das CCA-Siegel auf den Covern war mittlerweile so klein geworden, daß man in einigen Fällen regelrecht danach suchen mußte.

Inzwischen ist der Comics Code kaum mehr als ein Relikt vergangener Tage. Will ein Verlag ein Comic veröffentlichen, das nicht den Richtlinien der CCA entspricht, so erscheint es schlicht und ergreifend ohne deren Segen. In vielen Fällen ist es sogar so, daß ein Comic aller Wahrscheinlichkeit nach alle Anforderungen der CCA erfüllen würde und der Verlag sich dennoch nicht die Mühe macht, das Heft prüfen zu lassen. In vielen Fällen werden ganz einfach die Worte "Suggested for Mature Readers" ("Empfohlen für volljährige Leser") dem Cover hinzugefügt, um die Leute zu warnen, die nach wie vor besorgt sind, daß der Inhalt nicht für jeden zu empfehlen ist.
Nur noch vier Verlage - Marvel, DC, Archie und Dark Horse - verwendeten in den letzten Jahren das CCA-Siegel auf ihren Covern, und in den Augen vieler Leute ist das Siegel inzwischen eher ein Makel denn ein Gütesiegel. Die CCA ist heute kaum mehr als ein Papiertiger, an dem die Comics vorbeikommen müssen, die in Augenhöhe eines Zwölfjährigen in der Auslage plaziert werden wollen.
Und selbst wenn ein Comic heute noch das CCA-Siegel auf seinem Cover trägt, stellt dies im Gegensatz zu früher keine Garantie mehr da, daß die Inhalte wirklich dem "guten Geschmack und Anstand" folgen, und viele von ihnen gelten in den Augen zahlreicher Eltern und Lehrer tatsächlich als "gewalttätig" und "verderblich".

Anzumerken wäre noch, daß interessanterweise auch Verlage wie Image und Chaos! trotz der zahllosen Freiheiten in Sachen Gewalt in einem Punkt die gleichen Grenzen zu haben scheinen wie die Verlage, die noch immer das CCA-Siegel auf ihrem Cover verwenden: Was Sex und Nacktheit angeht, scheinen die Amerikaner offenbar nach wie vor nicht in der Lage zu sein, ihre konservativen Sichtweisen zu überwinden. Die Darstellung von weiblichen Brustwarzen ist absolut tabu, egal, wie spärlich die Darstellerinnen ansonsten auch bekleidet sein mögen, und auch ihre Andeutung ist nur in den seltsensten Fällen anzutreffen. Dagegen findet die einstige CCA-Richtlinie, Frauenkörper mit realistischen Proportionen zu versehen, schon seit langer Zeit keine Anwendung mehr. Riesenbrüste sind längst Standard geworden.
Ähnliches gilt für die männlichen Darsteller, die trotz aller noch so übetriebenen Muskeln geschlechtslose Wesen sind, da sich bislang kaum ein Zeichner gewagt hat, ihr Geschlechtsteil auch nur anzudeuten. Diese Besonderheiten sind jedoch in vielen Fällen eher eine Folge der generellen Prüderie der Amerikaner als der entsprechenden Richtlinie der CCA.

An dieser Stelle endete dieser Artikel in seiner ursprünglichen Form, doch in der Zwischenzeit hat sich eine mittelschwere Revolution ereignet, denn Marvel hat sich unter dem neuen Chefredakteur Joe Quesada entschlossen, sich künftig nicht mehr der CCA zu unterwerfen. Statt dessen will man fortan eine eigene, verlagsinterne Abstufung der hauseigenen Serien nach Altersgruppen einführen. Eine Folge dieser Entscheidung ist die neue "MAX"-Linie, die sich, ähnlich wie DCs "Vertigo"-Schiene, in erster Linie an ältere Leser richtet. Bislang scheint diese Entscheidung keinerlei negative Auswirkungen auf das Ansehen des Verlages in der Öffentlichkeit zu haben.
Die übrigen Verlage, allen voran DC, haben schon kurz nach der Bekanntgabe von Marvels Entscheidung bestätigt, daß die Regelungen der CCA nach wir vor ihren "Ansprüchen" genügen würden und daher vorerst keine "Trittbrettfahrer" zu erwarten sind. Dennoch sind DC, Archie und Dark Horse damit endgültig in der Minderheit, ein Großteil der Branche kümmert sich längst nicht mehr um dieses Relikt der fünfziger Jahre.

Abschließend kann nur noch gesagt werden, daß der Code längst seinen früheren Stellenwert eingebüßt hat und nur noch für wenige Verlage von Bedeutung ist, was jedoch nicht heißen soll, daß die zuständigen Chefredakteure der einzelnen Verlage ihren Künstlern nicht trotzdem, aus eigenen, nicht minder engstirnigen Gründen oft genug ins Handwerk pfuschen und ihnen Vorschriften bezüglich der Inhalte machen.


Special vom: 06.05.2001
Autor dieses Specials: Torsten B Abel
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Kapitel 1 - Die Verführung der Unschuldigen
Die Richtlinien zu Kapitel 1
Kapitel 2 - Die gestelzten Jahre
Die Richtlinien zu Kapitel 2
Kapitel 3 - Neue Freiheiten
Die Richtlinien zu Kapitel 3
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