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Interview mit Oliver Kammel

Hallo Oliver, vielen Dank, dass Du dir heute etwas Zeit für uns genommen hast. Kannst Du unseren Lesern in wenigen Sätzen schildern, woher Du kommst und wie Dein beruflicher Werdegang bisher war?

 Meine Begeisterung für Comics hat mich Ende der 1980-er Jahre auf die Joe Kubert school of cartoon and graphic art gebracht. Während dieser Zeit konnte ich viele Kontakte mit Künstlern und Verlagen knüpfen, die mir die ersten kleinen Jobs, meist als Assistenz von Marvel und DC Zeichnern, einbrachten. Nach meinem erfolgreichen Diplom-Abschluss konnte ich diese Arbeiten intensivieren und ich wurde für die ersten Projekte unter eigenem Namen engagiert. Leider war das Mitte der 1990-er, wo bekanntlich der Comicmarkt in den USA kollabierte und massenhaft Leute aus der Branche entlassen wurden. Das brachte mich zurück nach Deutschland, wo ich ziemlich schnell die ersten Stories für Bastei’s Gespenster Geschichten schreiben und zeichnen durfte. Es folgten diverse Comics für die Werbung bis ich dann eine Story im letzten erschienenen Schwermetall-Heft mit meinen 3 verrückten Mädels Funky, Kiss und Jazzz veröffentlichen konnte. Dazu nachher mehr. In den ersten Jahren der 2000-er arbeitete ich als Lizenzzeichner und Art Director bei Pro7/Sat1. Ich betreute diverse Cartoon-Formate und war unter anderem Chefzeichner von allen Pumuckl Print-Veröffentlichungen, habe alle Marsupilami Erscheinungen jenseits der Comics betreut, die Totally Spies in Deutschland eingeführt uvm.

Wie kam es dann zur Gründung von OK Comics?

Mit dem damaligen Aufkommen des Internets und Photoshop Ende der 1990-er habe ich früh meine ersten Online-Comics unter dem Label Frontline Comics auf meiner eigenen Homepage veröffentlicht. Das brachte mich auf den Geschmack der Selbstveröffentlichung meiner Werke. Die Revolutionierung in der Druck-Industrie auf Digitaldruck und der damit einhergehenden Preissenkung für Printprodukte gab mir einen zusätzlichen Impuls. Nach der Einstellung von Gespenster Geschichten besaß ich noch einige unveröffentlichte Stories, die ich für die Serie ja immer ausschließlich in schwarz/weiß anlegte. Die Seiten kolorierte ich, setzte sie zu einem Buch zusammen, welches ich Geisterhand nannte und unter dem Label OK Comics 2008 als Erstdruck herausbrachte. Der Verkaufserfolg auf Messen ließ noch zwei weitere Hefte der Serie folgen, diesmal mit exklusiv dafür erstellten Stories im Ton der berühmten Bastei-Serie.  

Das Impressum weist dich bei allen Heften als alleinigen Herausgeber aus. Ist Dein Verlag tatsächlich eine „One-Man-Show“?

Ja, tatsächlich mache ich alles selbst. Mein beruflicher Werdegang, der ausgehenden vom Bleistift bis hin zur beinahe kompletten Anwendung der Adobe Creative Suite ging, hat mich befähigt, neben meinen zeichnerischen und erzählerischen Fähigkeiten, auch das zur Publizierung nötige technische Know-how in Layout, Druckvorstufe und Produktion von Werbematerial, gezielt einsetzen zu können.

Vertreibst Du deine Hefte ausschließlich direkt?

Ja, das Geschäft läuft über Messen und dem in meiner Website www.okcomics.de  integrierten Shop (der von Wirecard gehostet wurde und aufgrund der aktuellen Situation im Moment außer Betrieb ist). Aber auch direkte Bestellungen über e-mail (okcomics@t-online.de) sind möglich.

Aufgrund Deiner Biographie und deshalb auch in der Art des Storytellings ist Geisterhand an die Gespenster Geschichten aus dem Bastei Verlag angelehnt. Welche Inspirationsquellen haben Trio Macabre und Funky, Kiss und Jazzz?

Meine damals für Schwermetall erschienene Kurzgeschichte Funky, Kiss und Jazzz ermunterte mich zu einer Fortsetzung, die es auf vier Hefte brachte. Die drei Mädels entwuchsen dem damaligen Zeitgeist unter Tic, Tac, Toe, den Spice Girls und dem Einfluss der Loveparade. Gepaart mit absurden Actionelementen ergab sich eine brisante Mischung. Trio Macabre entwickelte ich aus der Idee heraus, die Autoren der berühmtesten Figuren aus dem Horrorbereich, also Bram Stoker, Mary Shelley und Edgar Allan Poe, in eigenständige fiktive Charaktere zu verwandeln, die, ausgestattet mit den Eigenschaften ihrer jeweiligen Romanfiguren, eigene Geschichten erleben sollten.

Wo siehst du einen Unterschied zwischen deinen alten Storys für Gespenster Geschichten und Geisterhand?

Wie überall, so hatten auch in den damaligen Gespenster Geschichten die unterschiedlichen Autoren ihren eigenen Schreibstil, aber immer innerhalb eines mehr oder weniger vorgegebenen Erzählrahmens. Die Stories handelten von zumeist unschuldigen Seelen aus historischer Vergangenheit, die in übernatürliche Konflikte verwickelt wurden, die sie, in einem für den Leser überraschenden Ende, für immer verändern sollten. Diesem Ton und Charakter, der den Erfolg und die bis heute verbliebene Beliebtheit der Serie ausmachte, wollte ich natürlich treu bleiben. Allerdings nicht ohne dem ganzen einen moderneren Touch zu verleihen. Lese- und Sehgewohnheiten haben sich im Laufe der Zeit verändert. Angefangen bei der Optik der Zeichnungen bis hin zur lebhafteren Dramaturgie im Erzählstil will ich den Entwicklungen gerade auch im gesamten Comicbereich begegnen, ohne jedoch das Wesentliche der Serie aus den Augen zu verlieren.

Deine Internetseite weist noch immer den Actioncomic ESG-9 aus. Gibt es da schon Neuigkeiten was sein Erscheinen angeht?

ESG-9 steht für European Strike Group, eine von Europa eingesetzte Spezialeinheit zur Bekämpfung von High-Tech Terrorismus in der Zukunft. Das erste Heft (von 6) sollte anlässlich des Comicsalons Erlangen 2020 erscheinen. Daraus wurde aus bekannten Gründen nichts. Die Serie liegt komplett fertig, aber ungedruckt vor. Eine Veröffentlichung zum Münchner Comicfest 2021 sehe ich als den nächstbesten Termin an.

Hast du jemals versucht deine Geschichten über einen anderen Verlag zu vertreiben (Bastei mal ausgenommen)? Und woran ist es gescheitert?

Die Verlagslandschaft, zumindest in Deutschland, ist für meine Art Geschichten dünn besäht. Abgesehen von der Geisterhand passen meine Zeichnungen und der Erzählstil eher in den US-Markt, dessen Vertreter hier im Land aber kein Interesse für eine Eigenproduktion zeigten.

Wie schätzt Du insgesamt die deutsche Comicverlagslandschaft ein?

Aufgrund meiner Vorliebe für den Superhelden-Bereich verfolge ich hauptsächlich die Entwicklungen im amerikanischen Markt. Der steht meiner Meinung nach vor gewaltigen Umbrüchen. Der Einfluss der zwei Großen, Marvel und DC, wird abnehmen. Das wird die ohnehin schon gebeutelten Comicläden noch weiter dezimieren. Und mit deren Verschwinden wird das auch die kleineren Verlage stark treffen. Die Tendenz wird das Aufkommen von Kleinstverlagen unter Eigenveröffentlichung in einer Crowdfounding-Umgebung sein. Diese Entwicklungen spiegeln sich dann mit Sicherheit auch auf dem deutschen Markt wider. Vielleicht nicht so stark, da wir im Gegensatz zu den USA hier mehr Vielfalt in den vergleichsweise kleineren Verlagen und deren Themenbereichen besitzen und dadurch die Streuwirkung auf das diverse Lesepublikum größer ist.

Was war der letzte Comic, der dich wirklich begeistert hat und warum?

Leider komme ich nicht mehr so viel zum Lesen. Aber alles was Absurdes mit Superhelden verbindet mag ich. Daher steht bei mir Justice League Dark immer ganz oben. Interessante Charaktere in paranormalen Handlungen abseits der Superhelden Prügel-Kulisse.

Was war der letzte Comic, den Du nicht mal zu Ende gelesen hast, weil er zu schlecht war und warum?

Aktuell war das Heroes in Crisis. Das Erzählmittel moderner „Top-Autoren“ begründet sich auf das Erreichen möglichst vieler Seiten bei begrenzter Grundhandlung. Daraus ergeben sich unerträgliche Langatmigkeit und ein sich ständiges Wiederholen bereits bekannter Ereignisse und Informationen. Da helfen auch noch so gute Zeichnungen (wie in diesem Fall von Clay Mann) nichts. Außerdem prägt generell der Versuch den Helden übertrieben zu vermenschlichen (bis hin zur Verniedlichung) bei vielen aktuellen Titeln altbekannter Figuren die Story an sich, was sie fad und uninteressant werden lässt. Aquaman 3 ist da nur ein Beispiel unter vielen. Wir leben in einer Zeit vieler Umbrüche und Unsicherheiten. Gerade jetzt käme es darauf an, jemanden, wenn auch nur fiktiv, um sich herum zu wissen, der/die die Probleme lösen kann. Und wenn auch nur für eine kurze Lesezeit. Das macht Helden aus, egal in welchem Genre oder welcher Erscheinungsform. Das kommt mir heutzutage in den Comics zu kurz.

Ich danke Dir für das Gespräch!



Special vom: 26.04.2021
Autor dieses Specials: Bernd Hinrichs
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