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Comic-Besprechung - Und wir träumten von der Zukunft

Geschichten:

Und wir träumten von der Zukunft (Originaltitel: „Whatever Happened to the World of Tomorrow?“)

Autor/Zeichner: Brian Fies



Story:
Buddy träumt von der Zukunft. Als er klein ist, nimmt ihn sein Vater mit zur Weltausstellung 1939 in New York. Er löst das Ticket, betritt das Gelände, und er ist hin und weg.

Visionen von einer besonderen und besseren Welt präsentieren sich ihm. Das Haus von Morgen, die Stadt von Morgen, ja sogar die Molkerei von Morgen sind zu bewundern. Und nicht nur das, einmal pro Stunde veranschaulicht ein 2,20 Meter großer Roboter namens Elektro sein ganzes Können: er zeigt allen Besuchern, wie er sich bewegt, Fragen beantwortet oder sogar eine Zigarette raucht. Fantastisch – das hat man nicht gesehen.

Der Besuch der World Expo beeindruckt ihn nachhaltig. Buddy sieht rosige Zeiten kommen. Der Mensch wird alles Land der Erde erobern, die Ozeane erforschen und zu fernen Planeten reisen. Alle Hungernden werden zu essen bekommen, die Armen werden bereichert und die Versklavten werden befreit.

Buddy ist nicht nur ein Optimist. Er ist auch ein Comicleser. Seine Lieblingsserie ist Space Age Adventures, die ihm regelmäßig die neusten Abenteuer von Commander Cap Crater, dem silbernen Wächter des Sonnensystems, und dessen jungen Gehilfen Cosmic Kid näher bringt.

Und wir träumten von der Zukunft erzählt das Leben von Buddy in Kapiteln, die jeweils eine Dekade abdecken. Im zweiten Kapitel endet 1945 der Zweite Weltkrieg. Das Jahr 1955 bringt Buddy nicht nur die Mikrowelle, sondern lässt ihn immer mehr von der Eroberung des Weltalls träumen. Sein Vater und er sind völlig begeistert von den neu entwickelten Flugzeugen, Rechnern oder der Atomkraft. Spekulative Wissenschaft ist in, und so bedienen Presse, Film, Fernsehen und die Spielzeugindustrie ein gieriges Publikum. Städte unter Glaskuppeln, Unterseefabriken, arktische Labors, fliegende Autos, Düsenrucksäcke, nichts scheint unmöglich.

In den 60ern, als Buddy erwachsen wird, lernt er jedoch immer mehr die Kehrseite des blinden Fortschrittsglaubens kennen. Gleichzeitig nabelt er sich ideologisch allmählich stärker von seinem geliebten Dad ab. Eine düstere, pessimistische Stimmung macht sich in den 70er Jahren breit. Was ist aus der Welt von Morgen geworden?



Dieser Comic wurde mit dem Splash-Hit ausgezeichnet Meinung:
Brian Fies hat wieder zugeschlagen. Nach seinem bemerkenswerten, autobiographischen Webcomic Mutter hat Krebs, der 2005 den Eisner Award, dessen gedruckte Buchausgabe 2007 den Harvey  Award und dessen deutsche Ausgabe (Knesebeck) im gleichen Jahr den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt, legte er ein weiteres Meisterwerk vor.

Und wir träumten von der Zukunft ist eine Geschichte vom Erwachsenwerden, die mehrschichtig aufgebaut ist. Die einzigen Charaktere, die in dem Buch direkt auftreten, sind Buddy und sein Vater. Am Anfang verbindet beide dieser unvergleichlich typische Optimismus, den vor allem die US-Amerikaner bis zur Perfektion bis weit in die 50er Jahre praktizierten. Die beginnende Weltraumfahrt faszinierte und impfte regelrecht viele Menschen mit einer grenzenlosen Fortschritts- und Technikgläubigkeit. Die Zukunft wurde in leuchtenden Farben gemalt. In einer nicht allzu fernen Zukunft würde die Menschheit Krankheiten und Gefahren besiegt haben. Energieprobleme würden durch Atomkraft gedeckt. Nicht einmal der Himmel war die Grenze.

Fies schafft es mit seiner akribisch recherchierenden Art, diesen Retro-Futurismus glänzend darzustellen. Der Besuch der 1939er Weltausstellung wird so detailreich in Wort und Bild beschrieben, man spürt beim Lesen förmlich diesen Sense of Wonder  des kleinen Jungen. Man bekommt das Gefühl dabei zu sein. Gute Effekte erzielt auch die Einbindung von authentischen Fotos, ein Stilmittel, welches sich durch das ganze Buch zieht. Dadurch wird Und wir träumten von der Zukunft gleichzeitig fast schon zu einer Art Sachbuch, denn bei der Lektüre werden dem Leser jede Menge Fakten über die jeweilige Zeit vermittelt.

Grafisch kommt Brian Fies eher schlicht daher. Viele Seiten bestehen aus einem oder nur zwei Panels. Der Stil ist zwar einfach, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als zielsicher in seiner Komposition. Es fängt bei der Kolorierung an. Buddy und sein Vater sind farbig dargestellt, während ihre Umgebung vorwiegend in Grau- und Brauntönen koloriert ist. Immer wieder werden Montagen eingestreut, bestehend aus echten Fotos, Gemälden oder Plänen und Comicornamenten. Wenn Buddy im Kino sitzt und einen alten Science-Fiction-Streifen ansieht, dann flimmern echte Motive aus den alten Flash-Gordon-Serials mit Buster Crabbe auf der Leinwand.

Die schiere Fülle an wichtigen und unwichtigen Fakten macht das Buch zu einem plastischen Erlebnis. Wer auch nur entfernt ähnlich aufgewachsen ist, mit diesem Gespür und Interesse für Fortschritt, Technik, Zukunft und Science Fiction, der wird einige Facetten entdecken, die er von seiner eigenen Kindheit her kennt.

Die Krönung des Ganzen ist sicherlich die Einbindung von Buddys Lieblingscomic in die Handlung. Gleich vier Mal wird ein Comic im Comic geboten. Man ist direkt dabei, wenn Buddy mit dem neusten Heft der Space Age Adventures aus dem Alltag entflieht. Diese Einschübe sind ganz authentisch auf viel dünnerem, vergilbten Papier gedruckt und kommen mit eigener Heftwerbung und Farb-Grobrasterung oder sogar Druckdefekten daher, wie es damals in den USA bis in die 50er Jahre bei den billig gedruckten Comicheftchen üblich war. Auch inhaltlich machen die Abenteuer von Cap Crater eine Veränderung durch. Man kann die Entwicklung vom kruden Golden Age-Comic über den gewaltigen 60er Jahre Kirby-Marvel-Stil bis zu den 70ern, als Neal Adams, John Romita oder Dick Giordano den Ton angaben, verfolgen.

Dankenswerterweise orientiert sich die deutsche Ausgabe von Knesebeck bis ins letzte Detail am Original. Nur die Nuance im Originaltitel ging verloren. Dort verbirgt sich ein klitzekleiner Wink zu Alan Moores glänzender letzter Superman-Story Whatever happened to the Man of Tomorrow?

Fazit:

Also wenn ein Buch das Label Graphic Novel verdient, dann Brian Fies‘ Comic Und wir träumten von der Zukunft. Es ist ein außerordentlich gelungener autobiografischer Comic-Roman, verquickt mit einem bezaubernden Stück Retro-Futurismus und einer gehörigen Prise Idealismus und American Way of Life. Dazwischen finden sich immer wieder nachdenklich stimmende, inspirierende Zwischentöne, die zwar kritisch sind, aber letztlich immer einen kleinen Funken Hoffnung glimmen lassen.

Fast nichts wird so sein, wie wir es erwarten. Aber am Ende wird doch alles gut. Vielleicht sogar besser als gedacht. 



Und wir träumten von der Zukunft - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Und wir träumten von der Zukunft

Autor der Besprechung:
Matthias Hofmann

Verlag:
Knesebeck

Preis:
€ 24.95

ISBN 13:
978-3-86873-150-7

208 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • schön gestalteter Hardcover
  • stimmiges Gesamtkunstwerk
  • sympathische Geschichte in klaren Bildern
  • Retro-Futurismus vom Feinsten
Negativ aufgefallen
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
Bewertung:
1
(4 Stimmen)
Bewertung
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Rezension vom: 09.04.2010
Kategorie: One Shot
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