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Autoren- und Serienporträt: Tanguy und Laverdure
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Am 11. September 1972 erschien in dem Nachrichtenmagazin Spiegel ein Artikel unter der Überschrift Da lacht die Koralle. In dem Beitrag heißt es unter anderem: „… seine Männer schießen – `Bang, bang, getroffen!´ – in der Dritten Welt für `Ruhe und Ordnung´. Sie hänseln kurzwüchsige Araber (`Kasper´, `Gartenzwerge´). Doch weil das Vaterland `große Erdölgeschäfte´ plant, schützen sie nahöstliche Feudalherren gern vor der `Meute´ ihrer rebellischen Wüstensöhne“. Mit diesen nicht schmeichelhaften Worten werden die Geschichten der beiden Offiziere der französischen Luftwaffe charlierMichel Tanguy und Ernest Laverdure beschrieben.
Der Autor des Beitrages gibt die seiner Meinung nach begründete Ansicht gewerkschaftlicher Kritiker wieder, die das ZACK aus dem Koralle-Verlag als „BILD-Zeitung für Kinder“ titulierten. Und bei aller Sympathie für eine der ausgefeiltesten und spannendsten Fliegerserien im Comic, so ganz Unrecht hat er nicht. Allerdings muss zur Ehrenrettung angefügt werden, dass in demselben Artikel auch Leutnant Blueberry („Er kämpft gegen die Apachen. Doch wenn sein Pferd krepiert, wird der harte Held weich.“) wie auch Michel Vaillant („Er hat Ärger mit sturen Gewerkschaften und faulen Mexikanern.“) nicht gut wegkommen.
Ersonnen hat die scheinbar so schießwütigen Tanguy und Laverdure einer der wohl produktivsten Comic-Autoren aus dem frankobelgischen Raum: Jean-Michel Charlier. Der Mann, aus dessen Feder unzählige Klassiker der neunten Kunst entstammen, wurde am 30. Oktober 1924 im belgischen Lüttich geboren. Mit den beiden Abenteurern Tanguy und Laverdure frönte Charlier zwei seiner größten Leidenschaften: Einerseits der Fliegerei und andererseits dem Medium Comic.
Seine Begeisterung für die Luftfahrt war so groß, dass er sogar eine Ausbildung als Kurierflieger absolvierte.
Das war allerdings zu einem Zeitpunkt, wo er schon längst mit dem Schreiben von Comicszenarios Geld verdiente. Charliers Leidenschaft für die Sprechblasenliteratur hingegen entwickelte sich früher. Er gehörte zu jener Generation, die in den 1930er Jahren die Abenteuer eines kleinen Reporters mit Haartolle gezeichnet von Hergè verschlangen. Zunächst schien Charliers Weg aber in eine andere Richtung zu führen.
Er studierte Jura. Neben seinem Studium schrieb er für Comic-Magazine wie beispielsweise Spirou. Es ist nicht verwunderlich, dass ein Großteil seiner Geschichten die Fliegerei zum Thema hat.
tanguy_helmBemerkenswert an diesen Arbeiten ist die bereits ungewöhnliche Detailtiefe, mit der der Belgier das junge Leserpublikum begeistern wollte. So lieferte er Texte, die den Beruf des Piloten in all seinen Facetten vorstellte, oder er schuf Serien, die mit vielen technischen Informationen zu Flugzeugen oder Waffensystemen die Leser fesseln sollten.
Sein erster Fliegercomic erschien im Januar 1947 in Spirou und war der Startschuss zu den Abenteuern der amerikanischen Piloten Buck Danny, Mike Tumbler und Sonny Tuckson, die sich während ihres Kriegsdienstes im Pazifik kennenlernten. Die Serie Buck Danny, von der 2013 mit Cobra noir das 53. Album erschienen ist, geht auf Georges Troisfontaines zurück. Troisfontaines hatte in Belgien eine Agentur gegründet, die verschiedene Zeitschriften mit Comics belieferte. Bei Buck Danny hatte er sich selbst als Autor versucht, musste allerdings feststellen, dass er kein Talent hatte, eine Geschichte spannend zu erzählen und zu Ende zu bringen. Charlier sprang ein und übernahm die Serie. Zu dieser Zeit, als die erste Buck Danny-Geschichte in Spirou erschien, fasste Charlier auch den Entschluss, sich ganz den Comics zu widmen und seine Karriere als Jurist aufzugeben.tanguy_5teband
Das folgende Jahrzehnt war für den jungen Autor nicht einfach.
Von finanziellen Sorgen geplagt, schuftete er sich durch das Comicmetier. Bis es fast genau an seinem 35. Geburtstag zur Gründung der Comiczeitschrift Pilote kam, zu dessen Redaktion er zählte. Das Magazin geht zurück auf den Sender „Radio Luxemburg“, der eine eigene Jugendzeitschrift gründen wollte.
Gleich in der ersten Ausgabe war Charlier mit zwei Serien vertreten: Die Abenteuer von Tanguy und Laverdure und Der rote Kosar. Für Erstere fand der Autor mit Albert Uderzo seinen kongenialen Zeichner, der seine Ideen in lebhafte und dynamische Zeichnungen umsetzte.
Der Erfolg der Serie kommt nicht von ungefähr. Charlier war ein Meister darin, genau das zu spüren, was seine vornehmlich jungen männlichen Leser von einem Comic erwarteten.
Und dies waren – wie auch bei einem Großteil anderer Abenteuercomics – stets die immer gleichen Zutaten: Man nehme einen strahlenden Helden und stelle ihm einen leicht trotteligen aber durch und durch gutherzigen Buddy zur Seite. Neu war hingegen, dass Tanguy und Laverdure durch und durch Franzosen waren und dies auch vom Beginn der Serie klar formuliert war. Sie traten für französische Interessen ein – zunächst im eigenen Land. Dieser offen gelegte Patriotismus war neu. In seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Serie (s. Reddition Ausgabe 40) weist Stefan Semel aber zurecht darauf hin: „Dabei sollten wir nicht vergessen, dass Patriotismus in Frankreich andere, demokratischere Wurzeln und Traditionen hat als in Deutschland“. Ironischerweise wird aus Tanguy und Laverdure während ihres kurzen Ausflugs in den Kauka-Verlag Rolf und Miki, womit die Grundidee der Serie schon mit dem deutschen Titel ad absurdum geführt wird.

Weiter geht es in ZACK # 198 ...
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Special vom: 23.11.2015
Autor dieses Specials: Bernd Hinrichs
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F.W. Tempel
40 Jahre Abrafaxe
Das Allerletzte
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